Frankreichs Oberstes Verwaltungsgericht hat die umstrittenen Burkini-Verbote an französischen Stränden für unrechtmäßig erklärt. In einer Grundsatzentscheidung setzte der Staatsrat in Paris am Freitag das im Badeort Villeneuve-Loubet verhängte Verbot des muslimischen Ganzkörperbadeanzugs aus. Die Freiheitsrechte könnten nur bei "erwiesenen Risiken" für die öffentliche Ordnung eingeschränkt werden, urteilten die Richter. Die Burkini-Verbote haben nicht nur in Frankreich eine erbitterte Debatte ausgelöst. Und ein Ende der Debatte um die muslimischen Ganzkörperbadeanzüge ist nicht in Sicht: Konservative und Rechtsextreme forderten umgehend ein gesetzliches Verbot.
Renitente Bürgermeister
Mehrere Bürgermeister in Frankreich halten trotz der Grundsatzentscheidung des Obersten Gerichts an ihren Burkini-Verboten fest. Zu den Orten, die den Ganzkörper-Badeanzug für muslimische Frauen an ihren Stränden auch weiterhin nicht sehen wollen, gehören laut der französischen Nachrichtenagentur AFP unter anderem Nizza und Fréjus an der Côte d'Azur sowie Sisco auf Korsika. Dort war es Mitte August wegen Fotos von Frauen in Burkinis zu Ausschreitungen gekommen.
Pro und Kontra
Das Burkini-Verbot an einigen französischen Stränden erregt die Europäer. Und zwar auch in Regionen, in denen diese Badebekleidung noch nie gesichtet worden ist. Ein Grund für die Aufregung ist vielleicht auch der Begriff. Denn "Burkini" erinnert an "Burka". In Deutschland lehnt laut einer Umfrage eine Mehrheit die Vollverschleierung ab.
Der Burkini bedeckt aber gar nicht das Gesicht, sondern nur Körper und Haare. Er ist sozusagen ein Kopftuch-Look aus Polyamid und Elasthan. Die wichtigsten Argumentationslinien der Gegner und Befürworter des Verbots.
Verbote in 30 Gemeinden
Seit dem islamistischen Anschlag von Nizza mit 86 Toten haben mehr als 30 Gemeinden solche Verbote an ihren Stränden verhängt. Die Bürgermeister begründen dies mit der angespannten Stimmung in Frankreich: Muslimische Badebekleidung könne als Provokation empfunden werden und zu Störungen der öffentlichen Ordnung führen.
Der von Menschenrechtsgruppen angerufene Staatsrat erklärte nun, eine solche Begründung sei unzureichend. Für ein Verbot müsse es vielmehr "erwiesene Risiken" für die öffentliche Ordnung geben. Die unter anderem durch den Anschlag von Nizza ausgelösten "Emotionen und Sorgen" alleine könnten keine Rechtfertigung sein.
Der von Menschenrechtsgruppen angerufene Staatsrat erklärte nun, eine solche Begründung sei unzureichend. Für ein Verbot müsse es vielmehr "erwiesene Risiken" für die öffentliche Ordnung geben.
Das Oberste Verwaltungsgericht machte auch deutlich, dass die Bürgermeister keine Badebekleidung verlangen können, welche die "Laizität" respektiert. Diese Formulierung findet sich in den Burkini-Verboten wieder.
Villeneuve-Loubet ist Grundsatzentscheidung
Konkret befassten sich die Richter mit nur einem Burkini-Verbot, jenem aus dem südfranzösischen Villeneuve-Loubet. Ihr Urteil vom Freitag ist aber eine Grundsatzentscheidung und damit für alle Verwaltungsgerichte des Landes bindend. Das bedeutet aber nicht, dass alle anderen Burkini-Verbote automatisch aufgehoben sind - zunächst muss juristisch gegen sie vorgegangen werden.
"Ja, es gibt eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung der Religionsfreiheit, und der Bürgermeister hatte nicht die Befugnis, diese Freiheit einzuschränken", sagte Klägeranwalt Patrice Spinosi nach der Bekanntgabe der Entscheidung.
Der Zentralrat der französischen Muslime begrüßte den Richterspruch. "Das ist ein Sieg des Rechts und der Weisheit, der das Zusammenleben in unserem Land fördern wird", sagte Vize-Chef Abdallah Zekri. Auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International begrüßte das Urteil. "Diese Verbote erhöhen nicht die öffentliche Sicherheit, sondern fördern die öffentliche Demütigung" muslimischer Frauen, erklärte Europadirektor John Dalhuisen.
Konservative und Rechtsextreme fordern Verbot
Konservative und rechtsextreme Politiker forderten nach der Entscheidung, den Burkini per Gesetz zu verbieten. "Wir müssen Gesetze erlassen", schrieb der Generalsekretär der konservativen Republikaner von Ex-Staatschef Nicolas Sarkozy, Eric Woerth, auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. "Das Parlament muss seiner Verantwortung gerecht werden", twitterte der konservative Abgeordnete Guillaume Larrive.
Die Parteivorsitzende der rechtsextremen Front National (FN), Marine Le Pen, forderte, es müsse so schnell wie möglich ein Gesetz verabschiedet werden, das gut sichtbare religiöse Symbole in der Öffentlichkeit verbiete. "Dazu wird natürlich der Burkini gehören."