Präsident Recep Tayyip Erdogan hat von den USA erneut die Auslieferung des Predigers Fethullah Gülen gefordert, den er für den Putschversuch vom 15. Juli verantwortlich macht. Erdogan sagte nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu am Donnerstag: "Früher oder später werden die Vereinigten Staaten von Amerika eine Entscheidung treffen: Entweder die Türkei oder Fetö."

Fetö ist die türkische Abkürzung für die Gülen-Bewegung, die die Türkei als Terrororganisation einstuft. Die Gülen-Bewegung und ihr mutmaßlicher Einfluss in Staat und Gesellschaft gerieten spätestens ab dem Jahr 2013 in den Fokus staatlicher Stellen. Anlass war der Korruptionsskandal in der Türkei 2013. Seither gab es zahlreiche staatliche Maßnahmen gegen Anhänger Gülens und seit Mitte 2015 auch gegen FETÖ.

Nach dem Putschversuch ließ der türkische Staat Säuberungswellen in den Bereichen Hochschulwesen, Bildungssystem, Militär, Verwaltung und Polizei durchführen. Sämtliche Maßnahmen hatten das Ziel, den postulierten Einfluss der FETÖ zurückzudrängen. Handfeste Beweise für die Existenz einer Organisation namens FETÖ oder Terroranschläge, die in ihrem Namen durchgeführt wurden, liegen nicht vor. 

Wer ist Fethullah Gülen?

Fethullah Gülen lebt im Exil in Saylorsburg, Pennsylvania (USA). Er ist das geistliche Oberhaupt der islamischen Gülen-Bewegung. Seine Lehren fußen auf der "Nurculuk-Bewegung", die zu Beginn des 20. Jahrhunderts darauf ausgerichtet war, den Islam wiederzubeleben und mit den Erfordernissen der modernen Welt zu versöhnen. Im Mittelpunkt stand das Bekenntnis zur Demokratie.

Gülen erweiterte das Gedankengut um sozialkonservative und nationalistische Elemente, seiner Bewegung wurde innerhalb und außerhalb der Türkei zunehmend vorgeworfen, eine Unterwanderung der türkischen Polizei und Justiz anzustreben und einen Staat im Staat errichten zu wollen.

Nach den Vorwürfen Präsident Erdogans, am Putschversuch gegen ihn beteiligt gewesen zu sein, wandte sich der ansonsten sehr zurückhaltende Imam in den USA an die Öffentlichkeit. Spiegel-TV berichtete über dieses seltene Ereignis:

Macht über Bildung

Gülen setzt ganz stark auf Bildung - er gründete mehrere hundert Privatschulen und Studentenheime weltweit. Die Ideologie einer gebildeten undmit dem Westen konformen Gesellschaft weckte auch im Westen viel Sympathie. Der weltlich ausgerichtete türkische Staatsapparat und seine Sympathisanten trauen dem Prediger jedoch nicht. Seine Anhänger sehen in ihm einen wichtigen islamischen Gelehrten mit liberalen Ideen und interreligiösen Dialogabsichten. Die Kritiker werfen ihm vor, die laizistische türkische Republik zu unterminieren und durch einen islamischen Staat ersetzen zu wollen.

Stark sind Gülens Anhänger auch in Deutschland vertreten. Der türkischstämmige Bundesvorsitzende der Grünen, Cem Özdemir, hatte die Bewegung zuletzt öffentlich aufgefordert, Auskunft über die Tätigkeit ihrer Organisationen und Vereine in Deutschland zu geben: "Die Gülen-Bewegung muss selbst Klarheit schaffen, was sie eigentlich ist, eine islamisch-konservative Glaubensgemeinschaft, ein missionarisches Karrierenetzwerk oder eine islamistisch-politische und letztlich radikale Bewegung", sagte Özdemir der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" ("FAS").

Die Sozialwissenschaftlerin und Islamkritikerin Necla Kelek kritisierte schon vor einigen Jahren, dass Gülen ein weltweites Netz muslimischer Intelligenz heranbilde, das einen machtbewussten islamischen Chauvinismus fördere. Sie schrieb dazu: „Nach außen hin vertritt er (Gülen) eine Art Islam light, nach innen propagiert er einen machtbewussten islamischen Chauvinismus.“ Sie nennt seine Bewegung eine „Sekte mit Konzernstruktur“, da auch viele Unternehmen der Bewegung zugerechnet werden.

"Demokratie-Wachen" beendet

Knapp vier Wochen nach dem Putschversuch erklärte Erdogan die nächtlichen "Demokratie-Wachen" auf öffentlichen Plätzen für beendet. Bei einem Besuch einer solchen Veranstaltung vor dem Präsidentenpalast in Ankara in der Nacht auf Donnerstag dankte Erdogan den zahlreichen Teilnehmern, die seit dem Putsch seinem Aufruf zu den nächtlichen Demonstrationen im ganzen Land gefolgt waren. Zugleich rief er die Bevölkerung dazu auf, weiter wachsam zu bleiben.

Nach der Niederschlagung des Putschversuches hatte Erdogan die Bevölkerung dazu aufgerufen, öffentliche Plätze zu besetzen, um weiteren Putschisten keinen Raum zu lassen. Auf Plätzen wie dem Istanbuler Taksim-Platz oder vor dem Präsidentenpalast in Ankara versammelten sich seitdem jede Nacht zahlreiche Menschen. Ihren Höhepunkt bildete eine Demonstration in Istanbul gegen den Putsch am vergangenen Sonntag, zu der Millionen Teilnehmer zusammenkamen.