Armee, Justiz, Hochschulen, Medien - überall fahnden die türkischen Behörden nach Putschisten und Sympathisanten. Tausende sind in den vergangenen zwei Wochen hinter Gitter gekommen. Regierungsanhänger wollen Verschwörer hinrichten lassen. Stimmt bald das Volk ab?Zwei Wochen nach dem gescheiterten Putsch in der Türkei gehen Polizei und Justiz weiter massiv gegen mutmaßliche Verschwörer vor. Bis zum Freitag wurden 18.044 Verdächtige mit mutmaßlichen Verbindungen zur Bewegung des Predigers Fethullah Gülen festgenommen. Gegen 9.677 von ihnen erging Haftbefehl, wie Innenminister Efkan Ala im Staatssender TRT sagte. Außenminister Mevlüt Cavusoglu kündigte an, dass möglicherweise das Volk über eine Wiedereinführung der Todesstrafe abstimmen werde. Nach seinen Worten erheben diese Forderung Tausende Anhänger der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP.
Die Regierung beschuldigt den in den USA lebenden Prediger Gülen, für den Putschversuch vom 15. Juli verantwortlich zu sein. Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte einen 90-tägigen Ausnahmezustand verhängt. Seither rollt eine "Säuberungswelle" innerhalb des Militärs, der Justiz, sowie an Hochschulen, Schulen und in den Medien. Um die Flucht von Verdächtigen ins Ausland zu verhindern, wurden nach Angaben des Innenministers mehr als 49.000 Reisepässe für ungültig erklärt.
Für ein Todesstrafen-Referendum über eine entsprechende Verfassungsänderung wären 330 der 550 Stimmen im Parlament notwendig. Die AKP verfügt zwar nur über 317 Sitze. Die ultranationalistische MHP (40 Sitze) hat aber bereits Unterstützung angekündigt. Cavusoglu verwahrte sich gegen Kritik aus Europa. "Die EU hat nicht das Recht, uns Lehren zu erteilen in dieser Sache", sagte er der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Die EU will die Beitrittsgespräche mit der Türkei beenden, wenn die Todesstrafe wieder eingeführt wird.
Die türkische Regierung hat nach dem gescheiterten Putsch mehrere Generäle von ihren Aufgaben bei der NATO entbunden. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur sind die zwei türkischen Mitglieder im Führungsstab des Afghanistan-Einsatzes von der "Säuberungsaktion" betroffen. Zudem wurde bereits kurz nach dem Umsturzversuch der türkische Stabschef im Landstreitkräfte-Hauptquartier in Izmir festgenommen.
Die EU-Kommission betätigte, dass ihren Informationen zufolge auch türkische Diplomaten im Visier von Ermittlungen zum Putschversuch stehen. Nach Informationen der dpa sollen weltweit bereits mindestens 88 Personen von ihren Posten abberufen worden sein - darunter auch Botschafter. Ob jeder Fall im Zusammenhang mit den laufenden "Säuberungen" steht, ist unklar.
Der personelle Umbau im türkischen Militär erschwert aus Sicht des US-Geheimdienstdirektors James Clapper den Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). "Viele unserer Ansprechpartner wurden aus dem Weg geräumt oder festgenommen. Es steht außer Frage, dass das unsere Kooperation mit den Türken zurückwerfen und schwieriger machen wird", sagte Clapper bei einer Sicherheitskonferenz in Aspen auf eine entsprechende Frage.
Staatspräsident Erdogan wies die Kritik scharf zurück und warf der US-Seite vor, mit den Putschisten gemeinsame Sache zu machen. Er hatte in der Nacht zum Donnerstag per Dekret 1.684 Offiziere unehrenhaft aus den Streitkräften entlassen, 149 davon im Generalsrang. Das entspricht weit mehr als einem Drittel aller Generäle des NATO-Mitglieds. Die Türkei ist für die USA ein äußert wichtiger Partner im Kampf gegen die Terrormiliz IS.