"Wenn die AKP bereit ist, die Todesstrafe einzuführen, ist auch die MHP bereit", wurde der nationalistische Politiker Devlet Bahceli von "Daily Sabah" zitiert. Erdogan hatte am Wochenende gesagt, die Forderung des Volkes nach der Todesstrafe dürfte nicht ignoriert werden. Er kündigte Gespräche mit der Opposition zu diesem Thema an. EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn erklärte unterdessen, die Einführung der Todesstrafe in der Türkei wäre ein "K.O.-Kriterium" für EU-Beitrittsverhandlungen.
Unterdessen hat die türkische Regierung mehr als 15.000 Beamte vom Dienst suspendiert. Die 15.200 Staatsbediensteten würden verdächtigt, Verbindungen zur Bewegung des in den USA lebenden islamischen Predigers Fethullah Gülen zu haben, teilte das Ministerium am Dienstag mit. Gegen sie werde nun ermittelt.
Gegen die Beamten seien Ermittlungen eingeleitet worden. hieß es auch dem Bildungsministerium.
Die Nachrichtenagentur Anadolu meldete, beim Geheimdienst MIT seien 100 Mitarbeiter suspendiert worden. Diese hätten aber keinen Zugang zu Geheimdienstinformationen gehabt. Die Nachrichtenagentur DHA meldete, im Amt des Ministerpräsidenten seien 257 Menschen suspendiert worden. Der Sender CNN Türk berichtete, die Religionsbehörde Diyanet habe 492 Mitarbeiter suspendiert. Insgesamt stieg die Zahl der Suspendierungen aus dem öffentlichen Dienst seit Niederschlagen des Putschversuches auf rund 29.000.
Besorgt über die Vorgänge in der Türkei zeigt sich auch Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ). Eine Wiedereinführung der Todesstrafe durch die Türkei habe das automatische Ende der EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara zur Folge, sagte er. "Wenn die Todesstrafe eingeführt wird, dann stellt man sich außerhalb des Wertekonsenses, und dann ist zwingend das Ende dieser Verhandlungen eingetreten", sagte Kern im TV-Sender "Puls 4".
Voraussetzung für die Einführung der Todesstrafe sei ein verfassungsändernder Beschluss des Parlamentes, sagte Erdogan in seinem ersten Interview nach dem gescheiterten Militärputsch dem US-Nachrichtensender CNN. "Wenn sie (die Parteien) bereit sind, das zu diskutieren, dann werde ich als Präsident jede Entscheidung des Parlamentes billigen."
Er kündigte zudem weitere Konsequenzen auf den gescheiterten Putsch von Teilen des Militärs an.
Unterdessen wurde ein Militärberater des Präsidenten festgenommen. Der Luftwaffenoffizier Erkan Kivrak sei während seines Urlaubs in einem Hotel in Antalya in Gewahrsam genommen worden, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu am Dienstag. Angaben zu den konkreten Vorwürfen gegen den Oberstleutnant machte sie nicht.
Die Nachrichtenagentur DHA hatte bereits am Sonntag über die Festnahme eines weiteren Erdogan-Beraters berichtet. Dabei habe es sich um den Oberst Ali Yazici gehandelt, hieß es.
Sitzung am Mittwoch
Am Mittwoch werde es Sitzungen des Nationalen Sicherheitsrats und des Kabinetts geben, sagte Erdogan vor Regierungsanhängern an seinem Wohnsitz in Istanbul. Dabei werde eine "wichtige Entscheidung" fallen, die er noch nicht verraten wolle.
In seiner Rede in Istanbul bekräftigte er seine Bereitschaft zur Wiedereinführung der Todesstrafe. Deren Abschaffung im Jahr 2004 sei kein Hindernis. "So wie diese Unterschriften getätigt worden sind, können sie auch zurückgenommen werden. Es reicht, dass unser Parlament das entscheidet. Es sind keine Gesetze, die man nicht verändern kann."
Erdogan verwies dabei bei CNN auf einen Wunsch seines Volkes nach der Höchststrafe. "Warum sollte ich sie (die Putschisten) auf Jahre hinweg im Gefängnis halten und füttern? - das sagen die Leute." Die Menschen wollten "ein schnelles Ende" der Putschisten, zumal sie Angehörige, Nachbarn oder Kinder verloren hätten.
Massive Kritik an Erdogans Auslegung der Demokratie übte Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlaments. "Die Sprache, die da gewählt wird, ist ja verräterisch", sagte er in den ARD-Tagesthemen am Montag. ""Säuberung", "Metastasen ausmerzen", das ist ja nicht die Sprache der parlamentarischen Demokratie, sondern die eines autoritären Herrschers, und was wir erleben ist, dass Erdogan versucht, das Land der AKP und sich selbst endgültig und definitiv zu unterwerfen."
Nach CNN-Angaben erklärte Erdogan zudem, er werde die USA in den kommenden Tagen offiziell um die Auslieferung des Predigers Fethullah Gülen ersuchen. Gülen lebt in den USA im Exil; er bestreitet Erdogans Vorwürfe, in den Putschversuch verwickelt zu sein. Bisher ist in den USA nach Angaben des Außenministeriums noch kein offizieller Antrag der Türkei auf Auslieferung Gülens eingegangen.
Die EU-Staaten riefen unterdessen die türkischen Behörden eindringlich zur Zurückhaltung auf. "Es muss alles dafür getan werden, weitere Gewalt zu vermeiden", heißt es in einer am Montag von den Außenministern in Brüssel verabschiedeten Erklärung. Es gehe jetzt darum, neue Opfer zu vermeiden und wieder Ruhe herzustellen.
Seit dem Putsch am Freitag sind nach Angaben von Regierungschef Binali Yildirim 7.543 Verdächtige festgenommen worden, darunter 6.038 Soldaten und 100 Polizisten, 755 Richter und Staatsanwälte sowie 650 weitere Zivilisten. Mehr als 13.000 Staatsbedienstete wurden suspendiert, darunter 7.899 Polizisten und 2.745 Justizbeamte.
26 türkische Generäle müssen wegen ihrer mutmaßlichen Verwicklung in den gescheiterten Putschversuch in Untersuchungshaft. Ein Gericht in Ankara ordnete nach einer Anhörung am Montagabend an, dass die ranghohen Militärs bis zum Beginn ihres Prozesses im Gefängnis verbleiben müssen. Ein Termin für den Beginn des Verfahrens wurde nicht genannt.
Zu den Beschuldigten zählt der frühere Kommandant der türkischen Luftwaffe, Akin Öztürk. Er bestritt eine Verwicklung in den gescheiterten Putschversuch. "Ich bin nicht derjenige, der den Putsch geplant oder angeführt hat", erklärte er laut der amtlichen Nachrichtenagentur Anadolu. Er wisse nicht, wer hinter dem Umsturzversuch stecke.