Drei Tage nach dem gescheiterten Putsch in der Türkei hat es widersprüchliche Meldungen über ein angebliches Geständnis des von der Regierung als Putschführer bezeichneten Ex-Luftwaffenchefs Akin Öztürk gegeben. Öztürk hat seine Beteiligung nach einem neuen Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur Andalou an dem Umsturzversuch dementiert. "Ich bin niemand, der einen militärischen Putsch plant und leitet", sagte Ex-Luftwaffenchef Akin Öztürk bei seiner Aussage bei der Staatsanwaltschaft laut Anadolu. "Ich weiß nicht, wer ihn geplant und wer ihn geleitet hat."

Anadolu hatte kurz zuvor gemeldet, Öztürk habe seine Beteiligung bei der Aussage bei der Staatsanwaltschaft eingeräumt. Öztürk war nach der Niederschlagung des Putsches festgenommen worden.

Attentat auf Vize-Bürgermeister


Nach einem Bericht des Senders NTV Türk ist der Vize-Bürgermeister des Istanbuler Bezirks Sisli bei einem Attentat schwer verletzt worden. Unbekannte seien in das Büro von Cemil Candas eingedrungen und hätten dem Politiker der CHP-Partei in den Kopf geschossen. Zunächst war unklar, ob die Tat in Zusammenhang steht mit dem Putschversuch am Wochenende.

Sisli (sprich: Schischli) ist ein wohlhabender Stadtteil in Istanbuls Stadtmitte und gilt als eine Hochburg der oppositionellen kemalistischen Oppositionspartei CHP. Viele Jahre war der ehemalige CHP-Politiker Mustafa Sarigül Bürgermeister von Sisli. Er ist ein deklarierter Gegner von Präsident Recep Tayyip Erdogan, der seine politische Karriere als Oberbürgermeister von Istanbul begann.

Massen-Suspendierung

Nach seinen "Säuberungsaktionen" in Armee und Justiz hat sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan am Montag die Polizei sowie die Führungen der Provinzen vorgenommen. Ministerpräsident Binali Yildirim erklärte, man entferne jene Beamten von ihren Posten, die Verbindungen zu der für den Putschversuch verantwortlichen Organisation hätten. Rund 13.000 Staatsbedienstete wurden suspendiert.

Darunter seien 2.745 Justizbeamte sowie fünf Mitglieder des Hohen Rates der Richter und Staatsanwaltschaft (HSYK), so Yildirim. Auch rund 8.000 Polizisten wurden suspendiert. Medienberichten zufolge wurden 30 Gouverneure und 52 ranghohe Verwaltungsbeamte von ihren Ämtern entbunden. In der Türkei gibt es 81 von Gouverneuren geführte Provinzen.

Kamen Putschisten Säuberungswelle zuvor?

Kurz vor dem Putschversuch in der Türkei sollen bereits Gerüchte über eine geplante Umstrukturierung im Militär und eine bevorstehende "Säuberungswelle" kursiert sein. Diese könnten die Putschisten dazu bewegt haben, ihren schon länger geplanten Coup vorzuziehen, sagt der Politikwissenschafter und Türkei-Experte Ilker Atac im Gespräch mit der APA.

Sowohl im Justiz- als auch im Polizeiapparat habe Präsident Recep Tayyip Erdogan in den vergangenen Monaten bereits ähnliche Umstrukturierungen, sogenannte "Säuberungsaktionen" veranlasst. Ende vergangener Woche dürfte bekanntgeworden sein, dass der Machthaber nun eine solche Aktion auch innerhalb des Militärs "für Samstag oder Montag" geplant hatte, erklärt Atac, der an der Universität Wien lehrt.

Zwar hegten auch Teile der Militärkräfte ihrerseits schon längere Zeit einen Putschplan, dürften die Revolte aber angesichts der Gerüchte vorgezogen haben. Dies würde auch deren dilettantische Vorgehensweise erklären. Der Putschversuch wurde äußerst schnell niedergeschlagen, auch wurde der Präsident nicht festgenommen oder das Regierungsgebäude besetzt wie bei einem "klassischen Putsch".

Anführer ausgemacht

Stimmen die Angaben der Regierung, reicht er Aufstand gegen Präsident Erdogan weit in die höchste Militärführung hinein: Anführer der Putschisten in der Türkei soll demnach der Ex-Luftwaffenchef Akin Öztürk gewesen sein. Öztürk sei "der formale Anführer der Junta" gewesen, hieß es am Montag aus Regierungskreisen in Ankara. Der General gehörte bisher dem Obersten Militärrat an.

Neben Öztürk wurden nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu mehr als 100 weitere Generäle aus den Streitkräften festgenommen. Als Hintermann des Putschversuches sieht Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen.

Kampfflieger nahmen Erdogan ins Visier

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ist beim gescheiterten Putschversuch am Freitag offenbar in größerer Gefahr geschwebt als bislang bekannt. Laut Berichten der Nachrichtenagentur Reuters wurde Erdogan sei bei seinem Flug vom Urlaubsort Marmaris nach Istanbul von Kampfjets der Putschisten verfolgt.

"Mindestens zwei F16-Jets haben Erdogans Flugzeug gejagt", zitiert Reuters einen namentlich nicht genannten Ex-Offizier. "Warum sie nicht geschossen haben, ist ein Rätsel." Zwei andere F16 hätten die Präsidentenmaschine beschützt, die dann sicher in Istanbul landete.

Keine Beruhigung

Der türkische Verteidigungsminister Fikri Isik hat dazu aufgerufen, weiter gegen die Putschisten und den gescheiterten Umsturz zu demonstrieren. "Der Putsch wurde verhindert, doch wir können nicht sagen, dass die Gefahr vorbei ist", so Isik in der Nacht auf Montag vor einer Menschenmenge, die sich vor dem Wohnsitz von Präsident Recep Tayyip Erdogan im Istanbuler Stadtteil Üsküdar versammelt hatte.

Isik forderte die Menschen nach Angaben des Nachrichtensenders "NTV" auf, "jede Äußerung unseres Präsidenten aufmerksam zu verfolgen und solange draußen zu bleiben, bis er sagt: Es reicht, ihr könnt wieder nach Hause gehen."

Zehntausende Menschen in türkischen Großstädten waren am Sonntag auf die Straßen gegangen und hatten die ganze Nacht hindurch gegen die Putschisten demonstriert. Sie waren damit wiederholten Aufforderungen Erdogans gefolgt, der zuletzt am Sonntagabend auf Twitter geschrieben hatte: "Aufhören gilt nicht, Weggehen gilt nicht. Wir lassen die Plätze nicht leer."

Wie Aufnahmen des Senders "A Haber" zeigten, waren auch nach Sonnenaufgang am frühen Montagmorgen noch zahlreiche Demonstranten mit türkischen Fahnen auf den Straßen Istanbuls unterwegs.

Erdogan fordert die Todesstrafe

Nach dem gescheiterten Putschversuch treibt der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan seine Säuberungspolitik gegen internationale Kritik voran. Dabei zieht er auch eine Wiedereinführung der Todesstrafe in Erwägung, wie er am Sonntag vor Anhängern in Istanbul sagte. Die Armee erklärte indes den Putsch formell für beendet, die Zahl der Todesopfer stieg auf über 290.