8,6 Millionen Italiener sind aufgerufen, zwischen den beiden bestplatzierten Bürgermeisterkandidaten des ersten Wahlgangs vom 5. Juni zu wählen.

Die Fünf-Sterne-Bewegung um den Starkabarettisten Beppe Grillo erhofft sich den Durchbruch in Rom. Virginia Raggi, junge Kandidatin der als Protestinitiative gegründeten Gruppierung, zieht am Sonntag als Favoritin in die Stichwahlen um das Bürgermeisteramt Roms. Sie könnte zur ersten Frau aufsteigen, die als Bürgermeisterin das Steuer der italienischen Hauptstadt übernimmt. 35 Prozent der Stimmen eroberte die 37-jährige Rechtsanwältin beim ersten Wahlgang am 5. Juni. Sie zieht gegen den eher blassen Sozialdemokraten Roberto Giachetti ins Rennen, der von Premier Matteo Renzi unterstützt wird. Giachetti hatte es beim ersten Wahlgang auf 24 Prozent der Stimmen geschafft.

Die Fünf Sterne-Bewegung träumt auch von einem Sieg in Turin, obwohl ihre Bürgermeisterkandidatin - die 31-jährige Unternehmerin Chiara Appendino - nicht als Bevorzugte in den Kampf gegen den noch amtierenden Bürgermeister und Ex-Justizminister Piero Fassino zieht. Unermüdlich buhlt Appendino um die Stimmen der Wähler, die ihr beim ersten Wahlgang unerwartete 30,9 Prozent der Stimmen beschert hatten. Fassino, der schon beim ersten Wahlgang sicher mit einer 50-Prozent-Mehrheit gerechnet hatte, musste sich mit 41 Prozent der Stimmen begnügen und darf sich nun einer Stichwahl mit unsicherem Ausgang unterziehen.

Knapper Vorsprung für Renzis Mann

In der lombardischen Hauptstadt Mailand hofft Premier Renzi auf den Durchbruch des prestigereichen Managers Giuseppe Sala. Der erfolgreiche Organisator der kürzlich abgehaltenen Expo 2015, der als klarer Favorit des Urnengangs galt, tritt nur mit knappem Vorsprung zur Stichwahl gegen den Mitte-Rechts-Kandidaten Stefano Parisi an. Der Wahlausgang ist auch hier ungewiss. Sala ist ein Renzi-Vertrauter. Verliert er die Stichwahl in Mailand, wäre das ebenso eine bittere Niederlage für den Regierungschef.

Wird Neapel auch künftig linksregiert?

In Neapel liegt der amtierende linke Bürgermeister Luigi De Magistris vorn. Er duelliert sich mit dem Mitte-Rechts-Kandidaten Giovanni Lettieri um die Führung der Vesuvstadt. Auch in Bologna kämpft der amtierende Bürgermeister und Renzi-Vertraute Virginio Merola gegen die Mitte-rechts-Kandidatin Lucia Bergonzoni.

Interessant wird auch die Stichwahl in Triest. Der seit 2011 amtierende Mitte-Links-Bürgermeister Roberto Cosolini, der auf ein zweites fünfjähriges Mandat hofft, schaffte es beim ersten Wahlgang mit 28,6 Prozent der Stimmen lediglich auf Platz zwei. Cosolini lag weit hinter seinem Rivalen aus dem Mitte-rechts-Lager um Ex-Premier Silvio Berlusconi, Roberto Dipiazza, der 41,2 Prozent der Stimmen eroberte. Dipiazza hatte die ehemalige habsburgische Hafenstadt bereits zwischen 2001 und 2011 regiert.

Stimmungstest für Premier Renzi

Die Stichwahl gilt als Stimmungstest für den seit Februar 2014 amtierenden Premier Renzi. Dieser spielt die Bedeutung dieses Urnengangs mit der Begründung herunter, dass die Bürgermeisterwahlen stark von lokalen Faktoren beeinflusst seien, die nichts mit der Regierungsarbeit zu tun hätten. Wahrer Test für die Regierung sei dagegen das Referendum über die von der Regierung verabschiedete Verfassungsreform, das voraussichtlich am 2. Oktober stattfindet, so der Premier.

Virginia Raggi nimmt Kurs auf Roms Rathaus

Bei der ersten Runde der Wahl zum römischen Stadtoberhaupt am 5. Juni erzielte Virginia Raggi mit 35 Prozent der Stimmen den Spitzenplatz. Ihren Kontrahenten von der Demokratischen Partei (PD) des Regierungschefs Matteo Renzi und Vizepräsidenten des italienischen Abgeordnetenhauses, Roberto Giachetti, ließ die 37-jährige Rechtsanwältin Virginia Raggi von der Bewegung Fünf Sterne zehn Prozentpunkte hinter sich.

Sie quittierte das mit der Bemerkung: "Wir sind Zeugen eines historischen Moments." Bei der Stichwahl am Sonntag schickte sie sich nun an, erste Bürgermeisterin in der Geschichte der Ewigen Stadt zu werden.

Roms Zustand könnte schlechter kaum sein. Italiens Hauptstadt mit ihren drei Millionen Menschen hat mehr als zwölf Milliarden Euro Schulden angehäuft. In den Straßen klaffen Löcher, überall stapelt sich der Müll, der öffentliche Nahverkehr ist ineffizient. Die Kritik ihrer Gegner, sie sei politisch unerfahren und außerstande, das Chaos in den Griff zu bekommen, prallt an Raggi ab. Presseberichte vor der Stichwahl, sie habe Einkünfte für Beratungstätigkeiten nicht deklariert, tat sie kurzerhand als Verleumdungskampagne ab.

Die dunkelhaarige fotogene Politikerin Raggi stammt selbst aus Rom und ist dort aufgewachsen. Mit Anfang 30, nach der Geburt ihres Sohnes Matteo, begann die Juristin, sich der Politik zu widmen. "Ich wollte nicht, dass er in dieser Stadt aufwächst, so wie sie jetzt ist", sagte sie der Nachrichtenagentur AFP. "Rom muss zuallererst wieder eine normale Stadt werden", lautet ihr Credo.

Rom sei selbst für die Römer zu einem "extrem schwierigen Ort" geworden, und das sei für die italienische Hauptstadt nicht angemessen. In den Wahlkampf packte Raggi viele Themen, die den Einwohnern auf der Seele brennen: Sie will den öffentlichen Nahverkehr fördern, extra Busspuren und das kostenlose Fahrradleihsystem wieder einführen und sich um den personellen Notstand in der Verwaltung kümmern.

Die "Ewige Stadt" im Würgegriff der Korruption

Die Ewige Stadt wird außerdem von einem umfangreichen Korruptionsnetz im Würgegriff gehalten, das Ende 2014 ans Licht kam. Das mafiöse Netzwerk aus Kriminellen, Unternehmern, Beamten und Politikern, auch "Mafia Capitale" genannt, soll die Verwaltung von Rom unterwandert und Geld in Millionenhöhe unterschlagen haben. Das Netzwerk dealte mit öffentlichen Ausschreibungen statt mit Drogen. Derzeit wird dutzenden Verdächtigen der Prozess gemacht.

Rom wird derzeit vom bisherigen Mailänder Präfekten Francesco Paolo Tronca geleitet, nachdem der Bürgermeister Ignazio Marino Ende vergangenen Jahres zurückgetreten war. Der Politiker der Demokratischen Partei war über einen Spesenskandal gestolpert, außerdem war ihm vorgeworfen worden, dem Amt nicht gewachsen zu sein. Eigentlich wäre in Rom erst im übernächsten Jahr gewählt worden.

Kein leichter Job, den sich Raggi da aufhalsen will. Doch die 37-Jährige ist guter Dinge: "An Entschlossenheit hat es mir noch nie gefehlt." Dem "Mafia Capitale"-System will sie ein Ende bereiten. Das Gesetz müsse richtig angewandt, Angebote müssten geprüft und öffentliche Ausschreibungen nach Leistung vergeben werden, sagt sie.

Raggi ist vor allem davon überzeugt, dass die Römer nach jahrelangen Fehlleistungen der großen Parteien bereit für sie und die Fünf-Sterne-Bewegung sind. "Es ist Zeit, sie alle nach Hause zu schicken", sagt sie über die etablierten Politiker. Ihr Einzug ins römische Rathaus könnte auch der von Beppe Grillo einst als Protestbewegung ins Leben gerufenen Partei Fünf Sterne Aufschwung verleihen. Der Starkomiker hegt große Hoffnungen für seine populistische Partei bei der Parlamentswahl im Sommer 2018.