Gleich am Beginn des Interviews stellte Ö1-Journalist Klaus Webhofer Reinhold Mitterlehner die Frage, ob er mit Reinhold Lopatkas Stil einverstanden sei: "Reinhold Lopatka ist der Klubobmann, er ist eindeutig gewählt."
Kritik an der immer wieder zitierten „Packelei“ bei der Wahl der Rechnungshof-Präsidentin Margit Kraker wies der Vizekanzler zurück. Kraker sei „eine qualifizierte Kandidatin“, jeder Klub habe taktiert, das habe nichts Diabolisches. Er halte die Aufregung jedenfalls für übertrieben.
Auf die Frage, ob die eigene Partei hinter ihm stehe, sagte er: "Das ist ein beliebter Versuch, um die Partei spalten zu wollen. (...) Wir arbeiten gut zusammen."
Zum australischen Modell, Flüchtlinge in ein sogenanntes "Internierungslager" irgendwohin zu bringen, wie es Außenminister Sebastian Kurz zuletzt propagiert hatte, sagte Mitterlehner, es könne nicht sein, Flüchtlinge, die nach Europa gelangt sind einfach weiterzutransportieren. Es gehe vielmehr um einen organisierten Prozess, in dem "Re-Location und Re-Settlement stattfindet". Es gehe nicht um "Internierungslager" - mit dem Begriff würde jede Diskussion im Keim erstickt werden - sondern um Unterkünfte, in denen Flüchtlinge vorübergehend untergebracht werden könnten.
Kürzung der Mindestsicherung
Die jüngste Kürzung der Mindestsicherung in seinem Heimatbundesland Oberösterreich verteidigte Mitterlehner, denn mit dieser "Überbrückungshilfe" könne man das Auslangen finden. Es sei auch nicht daran gedacht, diese ein Leben lang aufrecht zu erhalten. Der ÖVP-Chef verwies hier etwa auch auf andere Unterstützungen wie kostenlose Arztbesuche oder Fahrtenbeihilfen: "Ich glaube sehr wohl, dass man mit dem Geld, wenn auch nicht einfach, leben kann." Es gehe jedenfalls um die Relation der Mindestsicherung im Vergleich zur Mindestpension oder zu Arbeitseinkommen.
Zum bevorstehenden Urteil des Verfassungsgerichtshof im Fall der Unregelmäßigkeiten bei der Bundespräsidentenwahl sagte Mitterlehner, er fände es "bedauerlich, wenn die Wiederholung stattfindet." Andererseits könne es nicht sein, "dass offensichtlich schlampig und nicht korrekt gearbeitet wurde."
Als nächste Projekte der gemeinsamen Regierungsarbeit stünden zunächst die Bereiche Sozialversicherung und Gewerbeordung an: Mitterlehner will die "Gewerbeordnung liberalisieren". Anfang Juli werde die Regierung etwas vorlegen, "was Gewerbeordnung und Start-ups betrifft."
Zum Themenkomplex Sozialpartner und einer möglichen Beschneidung der Macht der Sozialpartner erklärte Mitterlehner: "Ich habe nicht vor, die Macht der Sozialpartner zu beschneiden."
Briten-Referendum
Dem Briten-Referendum am kommenden Donnerstag, bei dem darüber abgestimmt wird, ob die Briten weiterhin in er EU bleiben oder austreten wollen, meinte Mitterlehner, er hoffe sehr, dass sich die Briten für den Verbleib in der EU entscheiden: "Ich hoffe, dass es eine positive Entscheidung gibt." Es wäre aber sicher auch kein Anfang vom Ende der EU, wenn die Briten sich für den Austritt entscheiden würden, denn "die EU hat sich gerade in Krisen bewährt".
Auf die Frage, ob er für ein Hearing bei der ORF-Generaldirektorenwahl sei, sagte er, dass er nichts dagegen einzuwenden habe.
Einen Favoriten für die ORF-Generaldirektorenwahl wollte er nicht nennen: "Favoriten sind sehr bald gestorben", sagte Mitterlehner.
Zuvor hatte sich Mitterlehner über den ORF bereits im "Standard" kritisch geäußert.
Kritik an Wrabetz
Gut eineinhalb Monate vor der Wahl des ORF-Generaldirektors durch den Stiftungsrat hat sich ÖVP-Vizekanzler Reinhold Mitterlehner kritisch über den SPÖ-nahen ORF-General Alexander Wrabetz geäußert. Auf die Frage zu seiner Meinung über Wrabetz, sagte Mitterlehner im "Standard": "Ich habe eine kritische Meinung zum ORF."
"Denn ich habe den Eindruck, dass die objektive Vorgangsweise, was die politische Berichterstattung anbelangt, nicht in allen Fällen gewährleistet war und dass auch der öffentlich-rechtliche Auftrag zu diskutieren ist", begründete Mitterlehner seine Skepsis. Als Beispiele führte er Recherchefehler rund um die Israelreise des FPÖ-Präsidentschaftskandidaten Norbert Hofer und den Soloauftritt von Ex-Kanzler Werner Faymann (SPÖ) bei "Im Zentrum" an. "Die Gesamtverantwortung für das Unternehmen hat der Generalintendant", sieht Mitterlehner Wrabetz dabei in der Pflicht.
In die Entscheidungsfindung des politisch besetzten Stiftungsrats wollte sich Mitterlehner aber öffentlich nicht einmischen. Der Frage, ob der ÖVP-nahe ORF-Finanzdirektor Richard Grasl ein besseres Generaldirektor wäre, wich er aus: "Wir haben beim ORF eine klare Konstellation mit Stiftungsräten, die gerade im Prozess der Meinungsbildung sind. Manche dort erwecken den Eindruck, eventuell für mehrere Kandidaten stimmen zu wollen. Aber das müssen die Damen und Herren unter sich austragen", so Mitterlehner.
Wrabetz hat bereits angekündigt, sich um eine dritte Amtszeit zu bewerben. Daneben verdichteten sich zuletzt Hinweise, dass auch Grasl antreten könnte. Die Wahl findet am 9. August statt.