Sauber geschnittene Hecken, hölzerne Fensterläden und ein Kinderspielplatz. Die seit Monaten allgegenwärtige Bedrohung sucht Frankreich diesmal in einer ruhigen Vorort-Wohnsiedlung heim.
Die Bewohner des Viertels in der 6000-Einwohner-Gemeinde Magnanville können es noch nicht fassen, dass in ihrem Viertel ein Terrorist zugeschlagen haben soll. "Hier passiert nie etwas", sagt eine Anwohnerin französischen Journalisten.
Doch genau hier zerstört ein junger Mann am Montagabend eine Polizistenfamilie und beruft sich dabei auf die Terrormiliz Islamischer Staat. Fast auf die Stunde genau sieben Monate nach der Pariser Anschlagsserie vom 13. November. Kurz nach dem Beginn der Fußball-EM - trotz Ausnahmezustands, höchster Terroralarm-Stufe und Gesetzesverschärfungen.
Auf dem Heimweg aufgelauert
Der Angreifer passt den Polizisten nach ersten Erkenntnissen auf dem Heimweg ab, vor dem Wohnhaus des 42 Jahre alten Familienvaters. Mit einem Messer sticht er auf ihn ein, verletzt ihn tödlich. Dann dringt der Bewaffnete ins Haus ein, bringt die Frau und den dreijährigen Sohn des Opfers in seine Gewalt.
Es beginnt ein stundenlanges Drama mit tragischem Ende. Auf den Versuch von Verhandlungen folgen gegen Mitternacht schließlich mehrere Detonationen: der Zugriff der schwerbewaffneten Anti-Terror-Einheit RAID. Als die Elitepolizisten den mutmaßlichen Attentäter erschießen, finden sie auch die Leiche der Frau.
"Verbrechen, um den Staat zu treffen"
"Das ist ein unglaubliches Verbrechen", sagt der Bürgermeister Michel Lebouc erschüttert. "Sie kommen in unsere Gemeinden, um den Staat zu treffen. Denn das war natürlich der Staat, der im Visier stand." Eine naheliegende Vermutung - auch die Frau arbeitete in einem Kommissariat, als Sekretärin.
Einziger Überlebender des Blutbads ist der Dreijährige. Er steht unter Schock, ist aber unversehrt, wie es von den Behörden heißt. "Das ist jetzt ein Waisenkind", sagt Lebouc. "Ich denke, mit drei Jahren hat er nicht alles verstanden, was ihm geschehen ist", hofft der Bürgermeister.
Das Urteil der Pariser Regierung steht schnell fest: "Zweifellos ein Terrorakt", sagt Präsident Francois Hollande. Nicht nur, dass der Mann sich während seiner Verhandlungen mit der Polizei zum IS bekannte. Deren Sprachrohr, das Internetportal Amaq, bezeichnet ihn umgehend als Kämpfer des IS. Und nach übereinstimmenden Medienberichten war der 25-Jährige wegen Terrorismus vorbestraft.
In Kleinstadt aufgewachsen
Er soll in der 44.000 Einwohner zählenden Stadt Mantes-la-Jolie ganz in der Nähe aufgewachsen sein. Dort und am Arbeitsort des Polizisten, Les Moreaux, gibt es mehrere Problemviertel, in Frankreich offiziell beschönigend als "prioritäre Viertel der Stadtpolitik" eingestuft. Deren Perspektivlosigkeit ist immer wieder als Faktor im Gespräch, wenn nach den Gründen für Radikalisierung gefragt wird. Doch einstweilen bleiben solche Thesen Spekulation.
Die Anti-Terror-Staatsanwaltschaft übernimmt die Ermittlungen, hält sich aber zunächst bedeckt. Vorerst blieben viele Fragen offen: Hatte der Mann Auftraggeber, oder schritt er von sich aus zur Tat? Ist sein Bekenntnis zum IS glaubhaft? Hat er bewusst während der Fußball-EM zugeschlagen, folgte er dem Aufruf des IS zu Terrorattacken während des Fastenmonats Ramadan? Und warum wählte er gerade den Polizisten als Ziel?
Angriff mit einfachen Mitteln
Manche Fragen sind auch die gleichen wie nach vorherigen Anschlägen, jeder neue Fall heizt die Dauerdebatte um mögliche Versäumnisse der Sicherheitsbehörden weiter an. Wenn sich die Terror-These bestätigt, dann wäre es ein Beispiel für das Gegenstück zu den aufwendig vorbereiteten und orchestrierten Anschlagsserie vom 13. November: Ein Angriff auf niedriger Schwelle, mit einfachen Mitteln - der nach Angaben von Ermittlern oft kaum vorherzusehen und zu verhindern ist.
"Man braucht keine Logistik", sagte Nicolas Comte von der Polizeigewerkschaft Unite SGP im Sender BFMTV. Ein Messer ist schnell besorgt, der Überraschungseffekt bleibt aufseiten des Angreifers.
Premierminister Manuel Valls ruft dazu auf, sich der Angst zu verweigern und den Terrorismus zu bekämpfen. Der Doppelmord von Magnanville macht einmal mehr deutlich, dass es dazu Geduld braucht.