Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die Türkei für ihre Rolle bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise gelobt. Die Leistungen der Türkei bei der Versorgung von inzwischen 2,7 Millionen Flüchtlingen könnten "gar nicht hoch genug gewürdigt" werden, sagte sie in einer Regierungserklärung zum bevorstehenden EU-Gipfel vor dem Deutschen Bundestag.
"Es gereicht Europa nicht zur Ehre, sich als Union von 28 Mitgliedstaaten mit 500 Millionen Bürgern bislang so schwer getan zu haben, die Lasten zu teilen." Umso wichtiger sei, jetzt "zumindest schrittweise" voranzukommen. Ziel müsse eine "faire Teilung der Lasten" sein. Dies liege sowohl im Interesse der Türkei als auch der Europäischen Union. Merkel bekräftigte, dass die Verhandlungen über einen EU-Beitritt der Türkei "ergebnisoffen" geführt würden.
Werben für eine europäische Lösung
Die CDU-Parteichefin warb noch einmal eindringlich für eine europäische Lösung der Flüchtlingskrise. Sie setze sich dafür ein, "dass wir uns als reicher Kontinent in der Lage zeigen, eine solche Herausforderung gemeinsam zu meistern", sagte Merkel. "Dabei dürfen wir nie vergessen: Auch Deutschland geht es auf Dauer nur dann gut, wenn es auch Europa gut geht, also Europa als Ganzes."
Deswegen müsse unverändert national, europäisch und international an dauerhaften Lösungen gearbeitet werden, um die Zahl der Flüchtlinge spürbar zu senken. "Beim Europäischen Rat morgen und übermorgen geht es also darum, ob es gelingt, eine Einigung zu erzielen, mit der wir zum ersten Mal eine echte Chance auf eine dauerhafte und gesamteuropäische Lösung in der Flüchtlingsfrage haben könnten."
Mit Blick auf die aktuell geringeren Zahlen durch die faktische Sperrung der Balkanroute sagte Merkel, davon dürfe man sich nicht täuschen lassen. "Die momentane Erleichterung, die Deutschland und einige andere Mitgliedsstaaten jetzt spüren, die ist das eine. Die Lage in Griechenland ist das andere." Der Zustand dort dürfe nicht von Dauer sein. Sonst komme Europa vom Regen in die Traufe. Entscheidend sei, die Zahl der Flüchtlinge nicht nur für einige, sondern für alle Mitgliedsstaaten zu reduzieren.
Aussichten für die Türkei
Die Kanzlerin knüpfte Visa-Erleichterungen für türkische Staatsbürger, wie sie Ankara nun schon vor dem Sommer durchsetzen will, an Bedingungen. "Es ist noch viel zu lösen. Und wir werden sicherstellen, dass diese Bedingungen vollständig eingehalten werden."
Zudem forderte die Kanzlerin die Türkei auf, dem Nato-Verband in der Ägäis die Kontrolle aller Flüchtlingsrouten zu ermöglichen. "Dieser Einsatz kommt nur Schritt für Schritt in Gang", sagte sie. Es sei bei dem Einsatz zu beobachten, dass Schleuser auf andere Inseln auswichen, wenn nur eine überwacht werde. "Deshalb brauchen wir Zugang zu allen Bereichen der türkischen Territorialgewässer", mahnte Merkel.
Die Nato ist seit Montag vergangener Woche unter deutscher Führung auf den Flüchtlingsrouten in der Ägäis unterwegs. Bisher überwacht sie aber nur die Routen zur Insel Lesbos. Die Zahl der Flüchtlinge, die dort und auf anderen griechischen Inseln ankommen, ist in der ersten Woche des Einsatzes nicht gesunken.
"Merkel ist wie Klavierspieler auf der Titanic"
Kurz vor dem wichtigen EU-Gipfel Ende der Woche prallen die Gegensätze in der Union über den richtigen Kurs in der Flüchtlingskrise weiterhin unversöhnlich aufeinander. Bei einem Treffen im Kanzleramt wollen die Unionsspitzen um Kanzlerin Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer am Mittwochabend nach Wegen aus dem Streit suchen. Der CSU-Politiker Peter Ramsauer zieht derweil einen makabren Vergleich. Auf die Einschätzung der Kanzlerin, die AfD sei keine existenzielle Bedrohung für die CDU, ging Ramsauer konkret ein. "Das erinnert mich an den Klavierspieler auf der "Titanic"", sagte er ehemalige Verkehrsminister der "Welt". "Der spielte auch bis zum Schluss, denn sein Flügel funktionierte ja. Und abgesoffen ist er trotzdem." Wer jetzt das Wahlergebnis in dieser Weise schönrede, bringe die Bürger noch mehr in Rage, meinte Ramsauer. Seehofer hatte am Montag nach einer CSU-Vorstandssitzung angekündigt, er werde im Kanzleramt seine Analyse der Landtagswahlergebnisse präsentieren. Von Merkel fordert er auch als Reaktion auf das Erstarken der AfD einen Kurswechsel in der Flüchtlingspolitik. "Nur eine Veränderung der Politik wird die AfD überflüssig machen und den Spuk dieser Gruppierung beenden", sagte er.