Kein Ergebnis beim EU-Sondergipfel zur Flüchtlingskrise: Die Staats- und Regierungschefs der 28 EU-Staaten haben die Entscheidung über einen Flüchtlingsdeal mit der Türkei am heutigen Montagabend vertagt, am 17. und 18. März trifft man einander wieder.
Man werde die Beratungen in den kommenden Tagen fortsetzen, hieß es. An der Zusammenkunft hatte auch der türkische Premier Ahmet Davutoglu teilgenommen.Eine Aufstockung der bereits zugesagten drei Milliarden an Hilfsgeldern um weitere drei Milliarden, visafreies Reisen in die EU bereits ab Juni und ein Austausch von syrischen Flüchtlingen im 1:1-Verhältnis: Das sind die Eckpunkte des Flüchtlingsdeals mit der Türkei, über die in Brüssel beraten wurde. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte zuvor mit einem Nein zur Abriegelung der Balkanroute für Aufsehen gesorgt.
Zug um Zug
Kernpunkt des Deals wäre, dass die Türkei in der Ägäis aufgegriffene illegale Migranten zurücknimmt. Im Gegenzug verpflichtet sich die EU, syrische Kriegsflüchtlinge von der Türkei zu übernehmen. Zu diesem Zweck ist ein Mechanismus geplant, wonach für jeden von Griechenland in die Türkei zurückgeschickten Syrer ein syrischer Kriegsflüchtling über das Resettlement-Programm von der EU aufgenommen werde.
Ungeklärt ist weiterhin die Frage der Verteilung. Wenig überraschend schoss Ungarns Premier Viktor Orban mit einem Veto gegen die Aufnahme von Flüchtlingen quer. Der maltesische Premier Joseph Muscat sagte, ein Deal mit der Türkei brauche mehr Zeit. Eine Einigung noch heute Abend sei "unwahrscheinlich". Dagegen vertrat der Martin Selmayr, der Kabinettschef von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, die Auffassung, "ein Durchbruch in dieser Nacht ist möglich". Die Entscheidung dürfte auf den nächsten Gipfel am 17. und 18. März vertagt werden.
Die EU-Staats- und Regierungschefs kamen gegen 19.00 Uhr erneut mit dem türkischen Premier Ahmet Davutoglu zusammen, der sich am Abend positiv zum neuen EU-Entwurf äußerte. Dieser "zielt auf eine neue Ära in den EU-Türkei-Beziehungen ab", sagte Davutoglo. Mit dem Deal sollen Flüchtlingstragödien verhindert und Schlepper bekämpft werden.
Türkei hofft auf Geld
Dem türkischen Premier wurde vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan die Latte hoch gelegt. "Ich hoffe, er kommt mit Geld zurück", sagte Erdogan mit Blick auf den Brüssel-Aufenthalt Davutoglus. Der Präsident kritisierte am Montag in Ankara, dass die EU schon vor vier Monaten Geld versprochen, es aber "immer noch nicht gegeben" habe.
Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) sprach sich zuvor gegen weiteres Geld für Ankara aus. "Ich bin nicht bereit, über die drei Mrd. hinaus noch mehr Geld zur Verfügung zu stellen", sagte Schelling noch vor Bekanntwerden des neuen EU-Gipfelentwurfs. Er wolle nicht weitere Mittel zur Verfügung stellen, "solange nicht klar ist, dass Länder mit Sonderbelastungen wie Deutschland, Schweden oder Österreich ebenfalls abgegolten werden", sagte Schelling.
Merkels Widerstand
Zu Beginn des Gipfeltages sorgte die deutsche Kanzlerin Merkel für Aufsehen, indem sie öffentlich Widerstand gegen die im Gipfelentwurf enthaltene Schließung der Balkanroute anmeldete. "Es kann nicht sein, dass irgendetwas geschlossen wird", sagte sie in Brüssel. Sie forderte stattdessen eine "nachhaltige Lösung" mit der Türkei.
Auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sprach sich Diplomaten zufolge für eine Änderung der Formulierung aus, die als Erfolg Österreichs und der mitteleuropäischen Staaten angesehen wurde. Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) sagte bei seinem Eintreffen in Brüssel, er sei "sehr dafür, mit klarer Sprache allen zu sagen: Wir werden alle Routen schließen, die Balkanroute auch. Schlepper sollen keine Chance haben." Auch der slowenische Ministerpräsident Miro Cerar bezeichnete eine Schließung der Balkanroute zum Auftakt des EU-Gipfels als "absolut notwendig".
"Mama Merkel"
An der geschlossenen griechisch-mazedonischen Grenze appellierten unterdessen rund 200 verzweifelte Flüchtlinge an die deutsche Kanzlerin, ihnen zu helfen. Die Menschen riefen "Mama Merkel!" und hielten eine deutsche Fahne hoch, wie ein Fotoreporter der Nachrichtenagentur dpa am Montagnachmittag vor Ort beobachtete.
Merkel hatte die von Österreich betriebene Schließung der mazedonischen Grenze scharf kritisiert. Österreichische Politiker zeigten sich unbeeindruckt und warfen Berlin ihrerseits Doppelzüngigkeit vor, weil es selbst Flüchtlingskontingente beschlossen habe.
"Notfalls mit Gewalt"
Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) sagte am Montagabend in einem ATV-Interview, die EU müsse "notfalls auch das Zeichen setzen, dass ein Grenze wirklich eine Grenze ist". "Gewaltszenen sind nicht angestrebt, aber da und dort unvermeidbar".