Bekommt das Dialogquartett zu Recht den Friedensnobelpreis?
HARDY OSTRY: Ja, vor allem, was dessen Rolle im Hintergrund der Vorkommnisse im Jahr 2013 betrifft. Der nationale Dialog wäre damals ohne Quartett sicher nicht zustande gekommen. Der Gewerkschaftsführer und die Arbeitgeberpräsidentin waren entscheidend, damit das Land aus der Krise 2013/2014 herauskam.
Ist es realistisch, dass der Preis Tunesiens Weg zur Demokratie sichern wird, wie das Nobelpreis-Komitee erklärt hat?
OSTRY: Die aktuellen Vorkommnisse im Land stellen diesen Prozess freilich infrage. Bei dieser Preisverleihung geht es zwar einerseits um die Würdigung der bisherigen Arbeit, aber auch darum, den beschrittenen Weg des Dialogs anzumahnen. Man sieht aber auch, dass Terrororganisationen wie der IS exogene Faktoren sind, die den tunesischen Weg torpedieren wollen.
"Würde, Freiheit, Arbeit" - das waren 2011 die Ideale des tunesischen Volksaufstands: Was ist davon geblieben?
OSTRY: Auf jeden Fall der Ruf nach Arbeit. Weiterhin auch der Ruf nach Freiheit. Mit der neuen Verfassung und den Präsidentschaftswahlen hat Tunesien zwar entscheidende Wegmarken erreicht, aber jetzt geht es um die Konsolidierung. Noch dazu in einem Umfeld, das schwieriger geworden ist, nicht nur in Tunesien, sondern in der gesamten Region.
Wegen des IS-Terrors?
OSTRY: Und wegen der schlechten wirtschaftlichen Entwicklung. Wenn die Menschen keine Dividende bekommen von dem, was 2011 passiert ist, wird die demokratische Erfahrung an sich infrage gestellt. Viele Jugendliche sagen heute: "Was hat uns die Demokratie eigentlich gebracht? Demokratie kann man nicht essen!" Der Weg ist schmerzhafter als gedacht und eine Revolution ist noch keine Demokratie, wie auch Staatspräsident Essebsi sagt.
Wird der Nobelpreis auch vom Volk gewürdigt?
OSTRY: Ich denke schon, dass heute viele Tunesier auch mit ein bisschen Stolz auf das Erreichte nach Oslo schauen. Vielleicht ist es auch so, wie Alt-Bundespräsident Herzog gesagt hat, dass so ein Ruck durch die Bevölkerung geht und sie sich sagt: "Wir bleiben nicht auf halbem Weg stehen: Wir bieten dem Terror die Stirn, und auch der wirtschaftlichen Unterentwicklung."
INTERVIEW: MANUELA SWOBODA