"Dieses Verhalten Österreichs belastet die nachbarschaftlichen Beziehungen", hatte CSU-Chef Seehofer in einem Interview mit der "Passauer Neuen Presse" geschimpft. Angela Merkel müsse jetzt mit der Regierung in Wien sprechen. Sie spricht auch mit Wien, sogar fast jeden Tag. Der bayerische Flüchtlingsrat wirft Seehofers Landesregierung vor, zum Teil selbst Schuld an den chaotischen Zuständen zu sein.
Aus Berlin bekam Seehofer auch eine Retourkutsche: Seit Frühsommer gebe es "fast konstante tägliche Kontakte zu Österreich auf allen Ebenen", sagte Merkel in Berlin. Man habe auch am Dienstag bereits Kontakt nach Wien gehabt. "Deshalb ist das die Normalität unseres Handelns", sagte sie zu Forderungen des bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer, die deutsche Regierung müsse sich enger mit Österreich abstimmen.
Kanzleramtsminister Josef Ostermayer (SPÖ) hat nach der Kritik aus Bayern betont, dass Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) "in engstem Kontakt mit Kanzlerin Angela Merkel" stehe. Erst am Sonntag beim Sondertreffen in Brüssel hätten die beiden Regierungschefs wieder ausführlich über die gemeinsame Vorgangsweise gesprochen, so Ostermayer in einer Aussendung.
"Können Schalter nicht einfach umdrehen"
Forderungen eines Ultimatums aus Bayern wies Merkel klar zurück. "Wir können den Schalter nicht mit einem Mal umdrehen. Wir müssen Schritt für Schritt vorgehen", sagte sie zu Aufforderungen von CSU-Chef Seehofer, in der Flüchtlingskrise Ergebnisse bis zum 1. November zu erzielen. Dieses Datum sei wegen der türkischen Präsidentschaftswahlen wichtig, sagte Merkel nur, ohne Seehofer zu erwähnen. Denn nur mit einer engen Zusammenarbeit der Türkei, Griechenlands und der EU gebe es die Chance, den Flüchtlingszustrom in die EU wie angestrebt zu senken.
Offene Grenzen wieder schließen
"Sie hat ja mit dem österreichischen Bundeskanzler Werner Faymann am 4. September eine Entscheidung getroffen, die die Politik der offenen Grenzen eingeleitet hat. Das kann und muss die Bundeskanzlerin beenden", sagte Seehofer. Der Schlüssel liege bei Merkel und Faymann. "Sie müssen diese Praxis beenden", verlangte Seehofer. Dazu genüge ein Telefonat - "als die Grenze am 4. September durch die Bundeskanzlerin und den Bundeskanzler geöffnet wurde, hatte auch ein Telefonat genügt", sagte Seehofer laut Zeitungsbericht. Bis Allerheiligen warte er noch ab: "Sollte ich keinen Erfolg haben, müssen wir überlegen, welche Handlungsoptionen wir haben", fügte er mit Blick auf schon früher angedrohte "Notwehrmaßnahmen" hinzu.
Schützenhilfe hatte Seehofer von seinem Innenminister Joachim Herrmann bekommen. Dass derzeit ohne Ankündigung tausende Flüchtlinge an die grüne Grenze zu Deutschland gebracht würden, sei ein "unverantwortliches Verhalten der österreichischen Regierung, das ich nur als skandalös bezeichnen kann." Das sei ohne Beispiel in den letzten Jahrzehnten.
Bayern betreibe "geplantes Chaos"
Der Bayerische Flüchtlingsrat wirft der bayerischen Staatsregierung vor, zum Teil selbst Schuld an der Situation an der deutsch-österreichischen Grenze zu sein. Die Landesregierung in München habe ein "geplantes Chaos an der Grenze" geschaffen. "Es ist die bayerische Regierung, die keine Züge fahren lässt," so ein Sprecher des Flüchtlingsrates.
Hintergrund ist, dass die Fernstrecke zwischen Salzburg und München seit Wochen unterbrochen ist. Die Sperre der Bahnstrecke wurde mehrfach verlängert, aktuell ist sie bis 1. November geplant. Es dränge sich der Eindruck auf, der Umgang mit Flüchtlingen werde von Bayern bewusst in Kauf genommen, "weil Willkommensbilder am Münchner Bahnhof der von der CSU gepflegten Überforderungsrhetorik widersprechen", meinte der Flüchtlingsrat.
Deutsche Polizeibeamte sollen unterdessen in den kommenden Tagen nach Slowenien reisen, um das kleine EU-Land bei der Bewältigung der hohen Flüchtlingszahlen zu unterstützen.
Die Teilnehmer eines Sondergipfels zur Flüchtlingskrise hatten am Sonntag in Brüssel unter anderem beschlossen, binnen einer Woche 400 Grenzschützer nach Slowenien zu schicken. In dem Land kamen zuletzt Zehntausende Flüchtlinge an, nachdem Ungarn seine Grenzen zu Serbien und Kroatien mit einem Zaun geschlossen hatte.