Der Mordfall Alijew sei ein "eklatanter Justizskandal", sagte Anwalt Mahrer im ORF-RAdio, die Anklage hätte nie erhoben werden dürfen. Opfer-Anwalt Lansky entgegnet, der Fall sei von vielen Stellen geprüft worden, die alle einen Tatverdacht gesehen hätten.
Gericht hat massive Zweifel an Anklage
Der vorsitzende Richter im Prozess um die Entführung und Ermordung der kasachischen Banker Zholdas Timraliyev und Aybar Khasenov hat offenbar massive Zweifel an der Doppelmord-Anklage der Staatsanwaltschaft Wien. Das geht aus dem Beschluss hervor, mit dem die verbliebenen Angeklagten im Alijew-Prozess Ende April auf freien Fuß gesetzt wurden und der nun in schriftlicher Form der APA vorliegt.
Die Anklage stütze sich "zu einem sehr weiten Teil völlig unreflektiert auf die Zeugenaussagen von Personen, welche mit ihren Familien ständig in Kasachstan wohnhaft sind", hält Richter Andreas Böhm fest. Deswegen könne "nicht ausgeschlossen werden, dass sie entweder mit den kasachischen Behörden zusammenarbeiten oder von diesen entsprechend unter Druck gesetzt werden". Böhm verweist auf "vor Widersprüchen strotzende Angaben" einiger Zeugen und bezeichnet die Wiener Staatsanwaltschaft wörtlich als "naiv", wenn sie meine, Zeugen, die sich in Kasachstan derzeit in Haft befinden und die im Wege einer Videokonferenz vom Wiener Gericht vernommen werden sollen, könnten in ihrer Heimat unbefangen und unbeeinflusst aussagen.
Bedenken äußert Böhm in seinem Beschluss auch "gegen die Zuverlässigkeit der fast ausschließlich aus Kasachstan übermittelten Beweismittel". Die Zweifel daran hätten sich in der Hauptverhandlung derartig verdichtet, dass hinsichtlich der verbliebenen Angeklagten Alnur Mussayev, früher Chef des kasachischen Geheimdiensts KNB, und Vadim Koshlyak, zuletzt Alijews Sicherheitsberater, von keinem dringenden Tatverdacht mehr gesprochen werden könne. Rakhat Alijew, der Hauptangeklagte in dieser Sache und vormalige kasachische Botschafter in Wien sowie frühere Schwiegersohn des kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew, wurde Ende Februar unter nach wie vor nicht restlos geklärten Umständen erhängt in seiner Zelle in der Justizanstalt Wien-Josefstadt aufgefunden.
Böhm äußert in seinem Enthaftungsbeschluss sogar die Vermutung, von Kasachstan zur Verfügung gestellte Rufdaten könnten - wörtliches Zitat - "nachträglich hergestellt" worden sein. Die entsprechende Annahme habe sich "massiv" erhärtet. Grundsätzlich sei der Verdacht, kasachische Stellen hätten Beweismittel manipuliert, "nahezu belegt", so Böhm. Und weiter: "Dies indiziert in nicht unerheblichem Ausmaß die Behauptung der Angeklagten und des verstorbenen Aliyev, dass die beiden Bankmanager in Wahrheit vom kasachischen Geheimdienst getötet wurden und dass der ganze Entführungs- bzw. Mordfall nachträglich konstruiert wurde, um Aliyev und ihm nahe stehende Personen auszuschalten."
Gegen den elfseitigen Beschluss, mit dem die U-Haft für Mussayev und Koshlyak aufgehoben wurde, hat die Staatsananwaltschaft mit einer 33 Seiten starken Beschwerde bekämpft. Ob es bei der Enthaftung bleibt, muss nun das Wiener Oberlandesgericht (OLG) entscheiden. Für Aliyevs langjährigen Rechtsvertreter Manfred Ainedter steht indessen fest: "Die Anklage schmilzt wie Butter in der Sonne." Es sei "erschütternd" und "geradezu tragisch", wenn nach Aliyevs Ableben der zuständige Richter nun Feststellungen treffe, "die genau das bestätigen, was Aliyev immer gesagt hat", so Ainedter am Freitag gegenüber der APA.