Frau Schwarzer, ist der Anschlag auf „Charlie Hebdo“ in Paris der Beginn vom großen Kampf der Kulturen in Europa?


ALICE SCHWARZER: Was heißt hier Kampf der Kulturen? Noch sind die radikalen Islamisten in Europa eine Minderheit. Die Mehrheit der Menschen aus dem muslimischen Kulturkreis ist friedlich und lebt gerne hier. Aber ich hoffe, das ist der Anfang vom Ende einer falschen Toleranz!   


Was verstehen Sie unter falscher Toleranz?


SCHWARZER: Ganz einfach: Nicht zu begreifen, dass es hier nicht um Glaubensfragen geht, sondern um Politik. Auch das so viel diskutierte islamistische Kopftuch – das nicht das traditionelle Kopftuch einer Bäuerin ist, sondern eines, das die Haare der Frauen vollständig als „sündig“ verdeckt – ist ja kein religiöses Zeichen, sondern ein politisches: Das Kopftuch ist seit 1979 die Flagge der Islamisten. Entsprechend hätte man von Anfang an unterscheiden müssen zwischen dem Islam, der Glaubenssache ist, und dem Islamismus, der Politik ist. Und man hätte bestehen müssen auf einer strikten Trennung von Religion und Politik. Dass Europa das nicht ernst genommen hat, war sein größter Fehler.

Was ist die Lehre daraus?

SCHWARZER: Wir dürfen einfach nicht länger Angst haben, als „Rassisten“ gebrandmarkt zu werden, wenn wir die Anhänger der Scharia kritisieren. Im Gegenteil: Den Kampf gegen die mitten unter uns agierenden Islamisten sind wir vor allem den Muslimen selber schuldig. Die sind ja die ersten Opfer dieser Fanatiker. Allerdings müssten auch sie sich endlich vernehmbar distanzieren von den Gottesstaatlern.

  Tun sie das nicht?

SCHWARZER: Bisher tun das nur Einzelne. Und wenn sie dann von Islamisten und ihren Sympathisanten als „Rassisten“ gebrandmarkt werden, stehen sie ziemlich allein da. Die bisher schweigende Mehrheit der Muslime hat Angst, in ihrer Community als „Verräter“ zu gelten. Aber Verrat von was? Das ist doch kein Verrat des Islam! Es ist eine Kritik am Missbrauch des Islam.

 Sie haben in Frankreich gelebt, halten sich gerade in Paris auf. Was bedeutet der Anschlag auf   „Charlie Hebdo“ für das Land, was bedeutet er für Europa?

SCHWARZER: Die Stimmung hier ist sehr gedrückt. Dieses Attentat ist Europas 11. September. Es ist ein Anschlag nicht nur auf Menschen, sondern auf die Meinungsfreiheit. So etwas haben zuletzt die Nazis gemacht. Die neuen Faschisten stehen in dieser Tradition. „Charlie Hebdo“, früher „Hara-Kiri“, ist ja seit Jahrzehnten das Symbol in Frankreich für eine wirkliche Unabhängigkeit der Presse und Meinungsfreiheit. „Charlie“ hat vor niemandem gekuscht: nicht vor dem Papst, nicht vor den Staatschefs, nicht vor irgendwelchen Wichtigtuern – und eben auch nicht vor Mohammed. Das Signal dieser Killer ist klar: Sie haben die Spitze der Meinungsfreiheit gebrochen. Zurzeit sehe ich hier in Paris überall schwer bewaffnete Polizisten, vor allem vor Buchläden und Verlagen. Aber diese Festungsmentalität kann ja keine Lösung auf Dauer sein.

Was dann ist die Lösung?

SCHWARZER: Wir müssten entschiedener bestehen auf den von uns so mühsam errungenen demokratischen Werten. Wir dürfen nicht länger zulassen, dass aus falsch verstandener Fremdenliebe – die mit ihrer Fixierung des „anderen“ im Exotischen in Wahrheit nur die andere Seite des Fremdenhasses ist – unsere Bildungs- und Rechtssysteme unterlaufen werden, im Namen Allahs. Und wir müssen die Hetze in den Koranschulen und so manchen Moscheen unterbinden. Der Anschlag auf „Charlie Hebdo“ muss für ganz Europa Konsequenzen haben. Schluss mit den falschen Tabus und Denkverboten – unter anderem dem, man dürfe die Islamisten nicht kritisieren – und wieder hin zu einem freien, kritischen Denken.

Das geschieht doch ohnehin: Worüber wird in Europa mehr debattiert als über den Islam?

SCHWARZER: Ja, es wird diskutiert. Aber die Debatte in den Medien wird von Islamisten und ihren Sympathisanten und Sympathisantinnen infiltriert und manipuliert, sodass wir immer wieder in das Fahrwasser einer verschleiernden Toleranz geraten und vom Kern wegkommen: der Trennung von Religion und Staat. Für Christen wie Muslime. In Talkshows werden in der Regel Kopftuchfrauen eingeladen – obwohl zum Beispiel in Deutschland nur drei von zehn Muslimen überhaupt ein Kopftuch tragen. Und führende Islamisten wie Tariq Ramadan zum Beispiel werden als neutrale „Experten“ befragt. Das ist ein Skandal!

Sie warnen schon seit Langem vor dem militanten Islam. Fühlen Sie sich nun bestätigt?

SCHWARZER: Ja, ich fühle mich bestätigt. Aber ich hätte lieber unrecht gehabt. Doch als ich 1979 in Khomeinis Iran war – wo uns zwangsverschleierte Frauen zu Hilfe gerufen hatten –, da war eigentlich schon alles klar. Die neuen Gottesstaatler haben kein Geheimnis aus ihrem Programm gemacht, so wenig wie Hitler in „Mein Kampf“. Ich habe nie verstanden, dass man das auch im Westen nicht sehen wollte. Allerdings konnte damals niemand ahnen, dass der Islamismus eines Tages auch eine Bedrohung für die gesamte westliche Welt werden würde.

Wie kam es dazu?

SCHWARZER: Die Radikalisierung von Moslems in Europa ist die Frucht einer systematischen Agitation der Islamisten. Die sind seit den 1980er-Jahren ideologisch munitioniert aus dem Iran, Pakistan, Ägypten – und werden mit den Petrodollars aus Saudi-Arabien und Katar finanziert. Mitten unter uns werden zum Beispiel Eltern dafür bezahlt, wenn sich ihre Töchter verschleiern. Und den arbeitslosen jungen Männern suggeriert man ihre Überlegenheit über die „Ungläubigen“ und verspricht ihnen das Paradies für deren Tötung. Die sind natürlich auch Opfer dieser skrupellosen Mächte.

Sie halten den Terror dabei nicht einmal für die größte Gefahr, die vom politischen Islam ausgeht. Was fürchten Sie noch mehr?

SCHWARZER: Die Androhung physischer Gewalt ist immer einschüchternd und ein Instrument aller Tyrannen. Doch noch gefährlicher ist zurzeit die Unterwanderung unseres Bildungssystems, wo wir unter dem islamistischen Druck in die Geschlechtertrennung und Einschränkung der Mädchen zurückfallen – kein Sportunterricht, keine Sexualkunde, keine Ausflüge etc. Oder die Unterwanderung unseres Rechtssystems, wo im Zivilrecht die Scharia – das Recht des Herkunftslandes! – angewandt wird. Auch im Strafrecht haben so manche Richter die Neigung, mildernde Umstände bei Ehrenmorden von Muslimen walten zu lassen.

Trifft es Sie, wenn man Ihnen Ihre Worte als Islamhass auslegt?

SCHWARZER: Natürlich bedrückt mich das. Doch genau das ist es, was ich mit Denkverboten meine!

Auch Marine Le Pen sagt, es dürfe keine Denkverbote geben. Die Todesstrafe für Leute wie die Attentäter von Paris müsse wieder her. Erfüllt Sie das mit Sorge?

SCHWARZER: Ja, mit großer Sorge. Die demokratischen Parteien haben in Frankreich, Deutschland wie in Österreich das Problem der islamistischen Agitation kleingeredet oder gar ganz geleugnet. Die Wut in der Bevölkerung aber steigt. Und nun ernten die Rechtspopulisten. Das ist fatal. Doch es ist ausschließlich dem Versagen der demokratischen Parteien zuzuschreiben. Ich hoffe, dass sich das jetzt ändert.

Ist Ihr Aufbegehren gegen Denkverbote mit der Grund  dafür, warum Sie mit der Pegida-Bewegung in Deutschland sympathisieren?

SCHWARZER: Haben Sie meinen Text „Sie fliehen vor den Islamisten“ überhaupt gelesen? Offensichtlich nicht. Denn sonst wüssten Sie, dass ich nicht mit Pegida sympathisiere, sondern sie kritisiere. Aber ich halte nichts von Ausgrenzung und Dämonisierung. Vor allem nicht in Anbetracht der Tatsache, dass die Pegida-Bewegung laut Umfragen Millionen klammheimlicher Anhänger hat. Und viele dieser heimlichen Sympathisanten haben ein verständliches Unbehagen. Wir müssen miteinander reden! Und wir sollten unsere mühsam errungenen Werte schützen, wie: Demokratie, Rechtsstaat, Meinungsfreiheit – und Gleichberechtigung der Geschlechter! Wir müssen also einerseits alle bei uns lebenden Menschen offen einladen, von diesen Werten zu profitieren – aber die Feinde dieser Werte bekämpfen.   

INTERVIEW: STEFAN WINKLER