Ausgerechnet die einstigen Partner der großen Mitte-Koalition im EU-Parlament, die EVP und die S&D, hatten sich nach den Hearings der Kandidaten für die künftige EU-Kommission in einen Schaukampf verstrickt. Dieser wurde nun, einen Tag vor der maßgeblichen „Konferenz der Präsidenten“, die die Abstimmung kommende Woche bei der Plenarsitzung festlegt, beigelegt. Alle sechs Vizepräsidenten, die zunächst noch im Paket auf Eis gelegt worden waren, sind demnach durch das Parlament bestätigt, auch der umstrittene ungarische Kandidat Oliver Varhelyi wird durchgewunken. Damit sollten die letzten Hürden für die neue Kommission beseitigt sein, sie kann am 1. Dezember ihre Arbeit aufnehmen.

Der Disput hatte sich um die Bestellung des Italieners Raffaele Fitto zu einem der mächtigen Vizepräsidenten entzündet. Fitto, der zunächst wie sein Vater bei der Democrazia Christiana politisch tätig war, dann mehrmals Folgeparteien wechselte, schließlich auf einem Ticket von Silvio Berlusconis Forza Italia ins EU-Parlament gewählt wurde und damit bereits der EVP angehörte, lief danach zu den postfaschistischen „Fratelli d‘Italia“ von Giorgia Meloni über und gehört seither zur rechts angesiedelten Parteienfamilie EKR im EU-Parlament. Obwohl die EKR Ursula von der Leyen ihre zweite Amtszeit nicht unterstützte, sei Fitto (und damit Meloni) mit einem hohen Amt belohnt worden – wohl, um künftige Allianzen vorzubereiten, so die heftige Kritik der Sozialdemokraten.

Retourkutsche um spanische Flutkatastrophe

Die Retourkutsche der EVP bekam daraufhin die spanische S&D-Kandidatin Teresa Ribera Rodriguez zu spüren, die ebenfalls Vizepräsidentin werden soll. Die EVP machte Ribera für den Umgang der spanischen Behörden mit den Überschwemmungen in der Region Valencia Ende Oktober verantwortlich, sie müsse sich erst dort dem Parlament stellen und für den Fall strafrechtlicher Verfolgung ihren EU-Posten wieder abgeben.

Bei den darauf folgenden Verhandlungen wurden auch die Liberalen an Bord genommen, erste Runden, in die dem Vernehmen nach auch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen involviert war, blieben ohne Ergebnis – bis jetzt. Die Einigung nach einer langen Sitzung in der Nacht auf Mittwoch, die im Lauf des Mittwoch durchsickerte, gibt nicht nur grünes Licht für alle noch offenen Kandidaten, sie enthält laut Agenturberichten auch eine Zusage der EVP, weiterhin eine „pro-europäische Mehrheit“ mit den anderen Fraktionen zu bilden und nicht mit den Rechtsaußen-Fraktionen zusammenzuarbeiten. Eine Erklärung, die jedenfalls nicht bindend wäre, das ist rechtlich nicht vorgesehen. Sie dürfte demnach auch im Fall des Falles alsbald ihre Wirkung verlieren. Seit den EU-Wahlen hatte es mehrere Fälle gegeben, in denen die EVP bereits ausgeschert ist, zuletzt etwa platzte die Resolution zum kommenden EU-Budget, weil die EVP mit der AfD stimmte. Erst letzte Woche versuchte die EVP gemeinsam mit Stimmen der AfD, das ursprünglich selbst mitbeschlossene Entwaldungsgesetz weiter aufzuweichen.

Portfolios dürften unverändert bleiben

Offen blieb vorerst auch noch, ob eine allfällige „Koalitionsvereinbarung“ auch Änderungen bei den Portfolios der Kandidaten beinhaltet. An sich sollte das vermieden werden, heißt es dazu aus Parlamentskreisen, weil sonst jeweils weitere Hearings nötig wären. Im Nachrichtenportal „Euractiv“ wird dazu die Vermutung geäußert, zumindest der ungarische Kandidat Oliver Varhelyi (Gesundheit und Tierschutz) könnte die Zuständigkeit für reproduktive Rechte und Pandemievorsorge entzogen werden. Mit im blockierten Personalpaket ist übrigens die Außenbeauftragte Kaja Kallas, an der jedoch keine Zweifel aufgekommen waren.

Der Weg ist nun frei für das EU-Parlament, am kommenden Mittwoch die gesamte neue Kommission abzusegnen.