Die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten hat eine neue Dynamik ausgelöst, um den Krieg Russlands gegen die Ukraine auf diplomatischem Wege zu beenden. Ehe die Elemente amerikanischer Vorstellungen analysiert werden, ist aber eine Bewertung der Lage an der Front und der militärischen und politischen Realität im Westen nötig; sie kennzeichnen folgende Faktoren:

Erstens: Im dritten Kriegsjahr rücken russische Truppen langsam, aber ständig in der Ostukraine vor; der Vormarsch hat sich nun beschleunigt. Der ukrainische Angriff auf russisches Territorium im Raum Kursk brachte zwar einen medialen Erfolg, nicht aber die erhoffte militärische Entlastung im Donezbecken. Ein militärischer Zusammenbruch der Ukraine ist nicht zu erwarten, aber auch keine Rückeroberung besetzter Gebiete.

Zweitens: Der Westen hat seine Wirtschaft nicht auf Kriegsproduktion umgestellt. Das Ausmaß ukrainischer Wünsche nach Waffenlieferungen ist irreal, auch im Falle der USA, die auch den Nahen Osten, den Pazifik-Raum sowie den Eigenbedarf im Blick haben. Bei vielen Nato-Staaten in Europa kommt die Nachrüstung nach Jahrzehnten der Friedensdividende hinzu. Außerdem sind die Nato-Staaten nicht bereit, ihre Soldaten für die Ukraine in den Tod zu schicken, Russland aber schon.

Drittens: Die westliche Unterstützung erfolgt bisher nach dem Motto: „Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel, und das vielfach zu spät. Diese Politik bietet weder der Ukraine eine Perspektive, die personell, materiell und wirtschaftlich ausblutet, enthält aber ein beträchtliches Eskalationspotenzial, während die Kriegsmüdigkeit in Europa zunimmt.

Verzicht auf Nato-Beitritt und Gebiete?

Der neue US-Präsident und sein Team wollen diesen unbefriedigenden Zustand beenden und die USA entlasten. Dabei ist zunächst offen, ob Trump eine umfassende Friedenslösung oder nur einen eingefrorenen Konflikt nach dem Muster Nord- und Südkorea im Blick hat. Unabhängig davon könnten die USA die Gebietsverluste der Ukraine als Tatsache akzeptieren, ohne dass Kiew diese Verluste auch völkerrechtlich anerkennen muss. Die Ukraine würde auf ein Streben nach einem Nato-Beitritt langfristig verzichten, an der Front sollte eine entmilitarisierte Zone entstehen, die von einer internationalen Friedenstruppe überwacht werden sollte. Diese Zone sollte nach den Worten des künftigen US-Vizepräsidenten JD Vance auf ukrainischer Seite stark befestigt sein, um Russland von weiteren Angriffen abzuhalten. Diesem Zweck soll auch die weitere Aufrüstung der Ukraine und die Stärkung ihrer eigenen Rüstungsindustrie dienen. Der Wermutstropfen für Europa besteht darin, dass ungenannte Trump-Berater eine personelle und finanzielle Beteiligung der USA an einer derartigen Friedenstruppe ausschließen – Europa wird also deutlich mehr zahlen müssen als bisher.

Von Beistandsgarantien für die Ukraine nach Muster des Artikels 5 des Nato-Vertrages ist bisher nicht die Rede, die Stellung der Ukraine in einer europäischen Sicherheitsarchitektur könnte aber durch eine bewaffnete Neutralität nach „Schweizer Muster“ definiert werden.

Wenig russische Kompromissbereitschaft

Mit Sicherheit arbeitet das Trump-Team bereits an einem konkreten Plan; sein Inhalt wird auch davon abhängen, wer Verteidigungsminister, Außenminister und nationaler Sicherheitsberater sein wird. Doch die USA sind zwar ein sehr wichtiger, aber eben nur ein Faktor im Krieg in der Ukraine. Ihrem Präsidenten Wolodymyr Selenskyj können die USA zwar mit dem Entzug der Militärhilfe drohen, doch muss Washington auf andere Nato-Staaten Rücksicht nehmen, die weiterhin gegen Verhandlungen mit Russland sind. Hinzu kommen Frankreich und Deutschland, dessen (angeschlagener) Kanzler Scholz die Bildung einer Art Ukraine-Kontaktgruppe vorgeschlagen hat, der auch China, Indien und Brasilien angehören sollen.

Diese Länder sind von enormer Bedeutung, damit die USA nicht die Rechnung ohne den „Wirt“, ohne Wladimir Putin, machen. Am Schlachtfeld bestehen derzeit wenig Anreize für größere russische Kompromissbereitschaft; sie ist aber zentral für eine diplomatische Lösung, die die Existenz der Ukraine sichert und daher wohl auch bedeuten muss, dass Russland unter anderem auf die (weitere) Annexion ukrainischer Gebiete verzichtet, die in der Verfassung als russisch festgeschrieben sind. Aus ukrainischer und wohl auch aus europäischer Sicht muss jedenfalls so weit wie möglich ausgeschlossen werden, dass eine diplomatische Lösung nur eine Atempause für einen weiteren russischen Krieg auf ukrainischem Territorium darstellt.