Vor dem Row Hotel an der Eighth Avenue in New York City lungern ein paar Männer herum. Zwischen den Pflanzkübeln, auf Decken, sitzen junge Frauen mit kleinen Kindern, die herumalbern. Sie kommen aus Venezuela. Seit zwei Jahren dient das frühere Touristenhotel mit seinen 1300 Zimmern nahe dem Times Square als Flüchtlingsunterkunft. Die Kirchengemeinde St. Luke‘s, nur ein paar Häuser an der West 46th Street entfernt, gibt zweimal pro Woche ein warmes Mittagessen aus. Hier haben sich die Besucherzahlen verdreifacht – auf mehrere Hundert am Tag.

Die Zeiten, in denen täglich tausende von Flüchtlingen am Busbahnhof der Port Authority ein paar Blocks weiter ankamen, sind zwar vorbei. Aber noch immer ist New York mit Flüchtlingen überfüllt, nicht nur die Hotels, auch die Kindergärten, Schulen und Krankenhäuser. Das bringt Unruhe in die Stadt. Erst vor einer Woche wurde ein Migrant niedergestochen, der in dem Hotel lebte, vermutlich im Streit mit anderen Hotelbewohnern. Anwohner meiden nun nachts die Eighth Avenue.

Lange Zeit strandeten die Flüchtlinge in den südlichen Grenzstaaten, allen voran Texas und Florida. 2023 beschlossen diese, Neuankömmlinge in Busse zu setzen und nach Norden zu schicken. Und New York ist verpflichtet, Flüchtlinge unterzubringen. Die Obdachlosenunterkünfte waren sofort überfüllt. Bürgermeister Erik Adams ließ Zelte aufschlagen und mietete 150 Hotels an, zum Ärger vieler Wohnungssuchender in einer Stadt mit explodierenden Mieten. Auch sind unversicherte Amerikaner nun verärgert, dass Flüchtlinge im Krankenhaus kostenlos behandelt werden.

„Gefängnisse geleert“

Immigration ist zum wichtigsten Wahlkampfthema geworden, wichtiger als Inflation, Abtreibung, oder der Krieg in Gaza. Kein Tag vergeht, ohne dass Donald Trump, der republikanische Herausforderer, über einen Immigranten aus Südamerika poltert, der angeblich einen Amerikaner beraubt, überfallen oder umgebracht haben soll. Alle Länder der Erde, behauptet er, leerten ihre Gefängnisse von Kriminellen und schickten sie nach Amerika. Und die brächten dann gefährliche Drogen wie Fentanyl mit. Behauptung über Behauptung.

Die Schuld gibt Trump dann der demokratischen Vizepräsidentin Kamala Harris, gegen die er antritt. Die habe es nicht geschafft, die Grenze zu schließen. Tatsächlich haben die Demokraten lange nicht reagiert. Andererseits, als Präsident Joe Biden mit den Republikanern im Kongress eine Kompromisslösung ausgehandelt hatte, um Migration zu regulieren, pfiff Trump seine Partei zurück: Die Grenzkrise hilft ihm im Wahlkampf.

Schon seinen ersten Wahlkampf gewann Trump mit dem Versprechen, eine Mauer zu Mexiko zu bauen und alle Illegalen draußen zu halten. Das gelang ihm nicht, aber er setzte eine Abschreckungspolitik durch, bei der Ankömmlinge abgefangen und Familien getrennt wurden. Tausende von Kindern, sogar Babys, landeten in Käfigen.

Einer davon ist José. Seine Eltern flohen vor der Bandenkriminalität in Honduras, kamen aber nur bis an die US-Grenze. José, damals erst fünf, wurde seinen Eltern entrissen und bei einer Pflegefamilie in Michigan untergebracht. Erst ein knappes halbes Jahr später fand ihn sein Vater. Heute lebt die Familie ohne Papiere in Houston, Texas. Dort geht José zur Schule, aber die Erfahrung bedrückt ihn noch. „Ich traue niemandem“, sagte er der New York Times. „Ich traue nur Mama und Papa.“ Dabei hat er noch Glück gehabt: Tausende Kinder sind bis heute verschollen.

Durch Flüsse geschwommen

So ähnlich will Trump auch seine nächste Amtsperiode gestalten, und viele Amerikaner unterstützen das. Niemand weiß, wie viele Menschen ohne Dokumente wirklich im Land sind, aber die Rede ist von 10 bis 20 Millionen. In den ersten drei Biden-Jahren stapften Flüchtlinge in Gruppen über den Stacheldraht hinweg oder schwammen durch Flüsse, nicht nur Mexikaner oder Südamerikaner, auch Chinesen, Afghanen oder Sudanesen, die sich vor der Grenze zusammengefunden hatten. Dort beantragten sie Asyl. Denn die früher üblichen Wege der Immigration durch Arbeit sind längst verstopft und lahmgelegt, von einer langsamen Bürokratie, aber auch, weil sich die beiden großen Parteien nicht einigen können.

Zwar kommen die illegal Eingewanderten rasch in Jobs unter — als Haushaltshilfen, Bauhelfer oder Landarbeiter — aber bei Einheimischen staut sich Ärger auf. Das haben die Demokraten lange ignoriert. Inzwischen hat Biden neue Bestimmungen erlassen, etwa, dass Migranten den Grenzübertritt bei einer App anmelden müssen, die nur 1450 Registrierungen am Tag erlaubt. Harris verkauft sich nun als strenge Grenzschützerin, die als Generalstaatsanwältin von Kalifornien erfolgreich Drogenkartelle und Menschenhändler verfolgt habe. Die Frage ist allerdings: Kommt das rechtzeitig? Und: Wollen Wähler eine Politik Trump light?

Trump will nicht nur die Grenze schließen, er will auch das Militär für Massendeportationen einsetzen. Es wird sogar debattiert, das Birthright Citizenship abzuschaffen, das jedem, der in den USA geboren ist, die Staatsbürgerschaft gibt. Tom Homan, Trumps designierter Direktor für Homeland Security, will in den USA geborene Kinder mit ihren Eltern deportieren. Und sein Vize JD Vance will die vorübergehende Duldung abschaffen, unter der 864.000 Flüchtlinge leben.

Trump hat dafür sogar die Unterstützung von hispanischen und schwarzen Wählern: Etwa 40 Prozent der Afro-Amerikaner und 43 Prozent der Latinos wollen eine Mauer an der Grenze, und noch mehr wollen die Deportation von illegal Eingewanderten. Nicht so ungewöhnlich; gerade Schwarze waren oft gegen Immigration, weil sie ökonomisch von immer neuen ethnischen Gruppen überholt wurden.

Sogar muslimische Immigranten — die Trump generell draußen halten will — stellen sich hinter den früheren Präsidenten. Einer davon ist Amer Ghalib, der Bürgermeister von Hamtramck, einer Kleinstadt in Michigan. Er stammt aus dem Jemen, sein Stadtrat besteht ausschließlich aus Moslems aus dem Jemen, Bangladesch, Bosnien und Albanien. Ghalib rief kürzlich zur Wahl von Trump auf. Ihm geht es nicht nur um Grenzsicherung, er glaubt, Trump werde den Krieg im Nahen Osten beenden. Und die liberalen Ansichten der Demokraten zu Schwulenrechten gefallen ihm auch nicht.