Unter dem Titel „Er hat uns geliebt“ (“Dilexit nos“) hat Papst Franziskus am Donnerstag sein viertes päpstliches Lehrschreiben veröffentlicht. In dem in fünf Kapitel gegliederten Text der Enzyklika, die in Kirchenkreisen als „geistliches Testament“ des 87-Jährigen bezeichnet wird, erklärt der Papst, aus welchen Quellen er seinen Glauben und sein Engagement für eine solidarische Welt schöpft.
„Herz ernst nehmen“
Franziskus geht dabei von einer Erneuerung der Herz-Jesu-Frömmigkeit aus, die die unmittelbare Erfahrung der Liebe Jesu als Quelle des Glaubens und der tätigen Nächstenliebe betont, und verweist auf deren gemeinschaftliche, soziale und missionarische Dimension. „Wenn unser Herz mit dem Herzen Christi vereint ist, ist es zu diesem sozialen Wunder fähig“, hält der Papst unter anderem fest. „Das Herz ernst zu nehmen hat soziale Konsequenzen.“
>>> Die gesamte Enzyklika zum Nachlesen: www.vatican.va
Wörtlich schreibt der Papst: „Wenn wir aus dieser Liebe schöpfen, werden wir fähig, geschwisterliche Bande zu knüpfen, die Würde jedes Menschen anzuerkennen und zusammen für unser gemeinsames Haus Sorge zu tragen.“ Sehr kritisch setzt sich Franziskus mit der gegenwärtigen geistigen Verfassung der Welt auseinander und ruft die Kirche dazu auf, die Liebe wieder als den eigentlichen Kern der christlichen Botschaft zu verkünden und zu leben.
Konsumgesellschaft ist „abartiges Räderwerk“
Dazu heißt es am Ende der Enzyklika: „Heute ist alles käuflich und bezahlbar, und es scheint, dass Sinn und Würde von Dingen abhängen, die man durch die Macht des Geldes erwirbt. Wir werden getrieben, nur anzuhäufen, zu konsumieren und uns abzulenken, gefangen in einem entwürdigenden System, das uns nicht erlaubt, über unsere unmittelbaren und armseligen Bedürfnisse hinauszusehen. Die Liebe Christi steht außerhalb dieses abartigen Räderwerks, und er allein kann uns von diesem Fieber befreien (...). Er ist in der Lage, dieser Erde ein Herz zu verleihen und die Liebe neu zu beleben, wo wir meinen, die Fähigkeit zu lieben sei für immer tot.“
Auch die Kirche brauche die Konzentration auf die Liebe Christi, damit nicht an deren Stelle „vergängliche Strukturen, Zwangsvorstellungen vergangener Zeiten, Anbetung der eigenen Gesinnung oder Fanatismus aller Art treten“, so der Papst in der Enzyklika. Vielmehr sei es sei die bedingungslose Liebe Gottes, „die befreit, belebt, das Herz erfreut und die Gemeinschaften nährt“.
Kein Prunk und keine Nebensächlichkeiten
Franziskus mahnt die Kirche, sich nicht in Ritualen und nebensächlichen Debatten zu verlieren, sondern sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Er schreibt: „Das christliche Lebensmodell ist attraktiv, wenn es ganzheitlich gelebt und zum Ausdruck gebracht werden kann: nicht als bloße Zuflucht in religiöse Empfindungen oder in prunkvolle Rituale. Was wäre das für ein Dienst an Christus, wenn wir uns mit einer individuellen Beziehung begnügen würden, ohne Interesse daran, den anderen zu helfen, so dass sie weniger leiden und besser leben?“
Der Papst erklärt weiter, Menschen, die die Liebe Christi erfahren hätten, könnten nicht anders, als „diese Liebe weiterzugeben, die ihr Leben verändert hat“. Sie wollten nicht „Zeit mit Diskussionen über zweitrangige Themen verlieren oder damit, Wahrheiten und Regeln aufzuerlegen, denn ihr Hauptanliegen ist es, das weiterzugeben, was sie erleben“.
Eigene Kindheitserfahrungen
In dem streckenweise sehr persönlich geschriebenen Text schreibt der Papst auch über eigene Erfahrungen aus seiner Kindheit. Zugleich geht er ausführlich auf das reiche religiöse Erbe der Herz-Jesu-Frömmigkeit ein, die vom 18. bis ins 20. Jahrhundert von Frankreich ausgehend weite Teile der katholischen Kirche prägte. Nicht zuletzt in Tirol entwickelte sich ein bis heute gelebtes vielfältiges Brauchtum mit Herz-Jesu-Feuern, Umzügen und Prozessionen.