Dies gelte auch für Österreich, das genauer unter die Lupe genommen wurde. Im Rahmen des Corona-Aufbaufonds stehen laut Rechnungshof "beispiellose Summen" zur Verfügung.
Die Gefahr entsteht, da Gelder aus dem Aufbaufonds nicht wie bei anderen EU-Programmen üblich nach den tatsächlichen Kosten, sondern nach der Erreichung von festgelegten Zielen ausgeschüttet werden. Der 648 Milliarden Euro schwere Coronafonds, die sogenannten kohäsionspolitischen Fonds und die Fazilität "Connecting Europe" (CEF) fördern Maßnahmen in ähnlichen Bereichen wie Verkehrs- und Energieinfrastruktur. Für dieselbe Maßnahme könnten in Brüssel die tatsächlichen Kosten dann doppelt eingereicht werden.
Beschreibung nicht spezifisch genug
Als konkretes Beispiel nennt der ERH in seinem Bericht die österreichische Maßnahme "Errichtung neuer Bahnstrecken und Elektrifizierung von Regionalbahnen" im Rahmen des Corona-Aufbaufonds (Aufbau- und Resilienzfazilität, ARF). Das für die Gelder 2025 fällige "Etappenziel" umfasst die Inbetriebnahme der gesamten Koralmbahn, obwohl die ARF nur etwa 9 Prozent der Projektkosten abdeckt. Im Rahmen eines CEF-finanzierten Projekts wurden ebenfalls Arbeiten an der Koralmstrecke finanziert, wie im österreichischen Aufbauplan angegeben.
Der Rechnungshof warnt, dass die Beschreibung des oben genannten Etappenziels nicht spezifisch genug sei, um Überschneidungen mit dem CEF-finanzierten Projekt auszuschließen. Es bestehe das Risiko, dass das Ergebnis derselben Arbeiten sowohl für die CEF als auch für die ARF gemeldet und somit finanziert werde. In Österreich wurden - wie in weiteren ausgewählten Mitgliedstaaten - das nationale Management- und Kontrollsystem zum Schutz vor Doppelfinanzierungen sowie vier konkrete ARF-Maßnahmen geprüft. Der ERH betont allerdings, dass "sich Österreich proaktiv darum bemüht, Unklarheiten bei Fragen der Doppelfinanzierung mit der Kommission auszuräumen".
"Das Risiko, dass bei einer Doppelfinanzierung EU-Mittel missbräuchlich verwendet und Steuergelder verschwendet werden, ist hoch. Trotzdem sind die vorhandenen Schutzmechanismen unzureichend", kritisierte Annemie Turtelboom, das für die Prüfung zuständige Mitglied des Rechnungshofs, in einer Pressekonferenz am Montag. "Das Finanzierungsmodell der ARF sollte eine Vereinfachung bringen. Vereinfachung sollte aber nicht bedeuten, dass die finanziellen Interessen der EU weniger gut geschützt sind."
„System nicht ideal"
Die vielen Verwaltungsebenen der EU-Länder machen laut ERH die Koordinierung und Aufsicht sehr schwierig. Gleichzeitig dienten als Grundlage für die Kontrollen auf Doppelfinanzierung vor allem Selbsterklärungen der Mittel-Empfänger. "Dieses System ist nicht ideal", meint Prüferin Turtelboom. Überprüfungen würden hauptsächlich manuell durchgeführt, was eine breit angelegte Überwachung unmöglich mache. Da die Förderung beim Aufbaufonds an die Erreichung von Zielen auf nationaler Ebene geknüpft sei, erhalte die EU-Kommission keine Details zu den Ausgaben vor Ort.
Ein weiteres Problem sind laut Bericht "kostenneutrale" Initiativen: Hier gebe es "überhaupt keine Prüfungen auf Doppelfinanzierung, da die Kommission sie als risikolos betrachtet", kritisiert Turtelboom. Der Bericht nennt einen potenziellen Fall bei einer österreichischen Reform, die mit "null" im Aufbauplan eingepreist, aber mit erheblichen Kosten verbunden sei. Die Prüfer empfehlen der Kommission, die Kontrollen von Null-Kosten-Maßnahmen zu verstärken. Zudem sollte die Definition von "Doppelfinanzierung" diese mitberücksichtigen.
Weiters empfiehlt der Bericht eine stärkere Koordinierung zwischen den Finanzierungsprogrammen und -instrumenten sowie interoperable IT-Systeme zur Datenauswertung. Die Kontrollanforderungen an die Systeme betreffend Doppelfinanzierungen seien "zu präzisieren und zu stärken".
Aufdeckung eher zufällig
Kurz nachdem der Rechnungshof diesen Prüfungsbericht abgeschlossen hatte, wurden laut EU-Kommission die ersten beiden potenziellen Fälle von Doppelfinanzierung mit ARF-Mitteln ermittelt. Die Tatsache, dass nur zwei Fälle ermittelt wurden, werten die Prüfer angesichts ihrer Erkenntnisse als Anzeichen dafür, dass "die Aufdeckung von Doppelfinanzierungen eher dem Zufall geschuldet und die vorhandenen Instrumente weder geeignet noch wirksam" seien.