Kamala Harris: Die Wiedergeborene

Der zielstrebigen Juristin, aber eher erfolglosen Vizepräsidentin gelang die Wiedergeburt. Aber reicht das am Ende aus? Von Julian Melichar

Gibt es die Möglichkeit einer Wiedergeburt, dann hat sie Kamala Harris erlebt. Als Vizepräsidentin von Joe Biden war sie erfolglos. Man sah sie nie, hörte sie noch weniger. Wenn sie sich zeigte, war sie irgendwie schräg, sprach verwaschen, lachte viel. Ja, Harris ist anders. Sie tanzt im Regen und lässt sich dabei filmen, sie dreht eine Runde im Plattenshop und präsentiert stolz ihre Charles-Mingus-Vinyls. Sie ist eine Frau, die sich mit einer atemberaubenden Selbstverständlichkeit durch Zeit und Raum bewegt. Das reicht, um anzuecken.

Für Recht und Ordnung

Die anfängliche demokratische Taktik, sie als weibliche Obama zu verkaufen, schlug in der vergangenen Amtszeit völlig fehl. Hinzu kommt: Harris wurde mit den Migrationsagenden betraut - einer undankbaren Aufgabe, bei der man wenig gewinnen kann. Aber Harris gelang die Metamorphose. Eine Welle der Euphorie erfasste die demokratische Partei und die USA in den Tagen nach Bidens Rückzug im Juli. Rekordverdächtig schnell versammelte Harris unzählige Wahlkampfspender hinter sich. Da war sie plötzlich wirklich: Die weibliche Obama. Auf einmal war Trump der alte Mann. Aber da war noch mehr: Da gab es plötzlich wieder Hoffnung, einen Haufen Möglichkeiten für das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. „Unsere Kampagne ist nicht bloß ein Kampf gegen Donald Trump. Unsere Kampagne ist ein Kampf um die Zukunft“, stellte Harris klar. Das Verharren in der Vergangenheit ist das Gift, das die politischen Ränder nährt, das weiß Harris.

Harris kommt aus einem akademischen Haushalt, wuchs in Kalifornien und Kanada auf. Als Juristin macht sie sich schnell einen Namen. Sie gilt als Netzwerkerin, sicher am Business-Parkett tagsüber, aber auch auf Cocktailparties bei Nacht. Als Bezirksstaatsanwältin sorgt sie für Recht und Ordnung - sie geht gegen bereits geringe Drogenvergehen hart vor, lässt Eltern, die ihre Kinder nicht in die Schule schicken, klagen. Als Senatorin gilt sie als besonders liberal. Harris ist herzlich, aber hart. Fast schon legendär ist ihre Frage an den Richter des konservativ-besetzten Supreme Courts Brett Kavanaugh, der das Recht auf Abtreibung kippte: „Können Sie sich an irgendwelche Gesetze erinnern, die der Regierung die Macht geben, Entscheidungen über den männlichen Körper zu treffen?“.

Kamala Harris
Kamala Harris © AP / Jacquelyn Martin

Ja, sie wäre die erste Präsidentin in der Geschichte der USA. Und natürlich die erste schwarze Frau noch dazu (mit einer kleinen Unschärfe: Am 10. November 2021 übernahm Harris, während sich Biden einer Operation unterzog, für eine Stunde und 25 Minuten das Amt). Aber es steht nicht im Zentrum ihrer Kampagne. Harris hat mehr zu bieten als identitätspolitische Heilsversprechen. Selbst, dass ihre eigene Geschichte ein Beispiel für gelungene Migrationsbiografien ist - ihre Mutter kam aus Indien, ihr Vater aus Jamaika - schreibt sie sich nicht übergroß auf die Fahnen. Am 5. November könnte die Staatsanwältin gegen den Straftäter Trump siegen. Richten wird darüber das Volk.

Donald Trump: Der Grenzverschieber

Trumps Leben war immer von Scheinwerfern bestrahlt, die ihm Hass und Liebe zutrugen. Beide Emotionen wusste er immer zu nutzen, auch wenn es darum ging, politisch erfolgreich zu sein. Von Tobias Kurakin

Die einen lieben ihn so sehr, dass sie für ihn töten würden. Die anderen hassen ihn so sehr, dass sie ihn töten würden. Ersteres haben die Kapitolstürmer des 6. Jänner gezeigt, Zweiteres die Attentatsversuche während des US-Wahlkampfes. 

Beide Lager und ihre extremen Reaktionen hat Donald Trump über die Jahre bedient: Der Hass auf ihn nährt die Unterstützung für ihn. Der ehemalige Geschäftsmann hat bei der Präsidentschaftswahl 2016 verstanden, dass man nicht von allen gemocht werden muss. Denn: Wer polarisiert, erregt gewinnbringende Aufmerksamkeit.

Donald Trump
Donald Trump © AP / Evan Vucci

Eine Strategie, die Trump schon immer verfolgte. Er hat stets das Scheinwerferlicht gesucht und es wie kein anderer verstanden, Medien dabei als Sparringspartner einzuspannen. Er hatte lange vor seinen Kritikern erkannt, dass negative Berichterstattung seine politischen Erzählungen von einem Establishment, das gegen das „wahre Volk“ agiert, nur stärkt. Seine Wähler sehen ihn als Kämpfer für ihre Anliegen, der als unorthodoxer Quereinsteiger den vermoderten Politikbetrieb aufmischte. Auch weil er unbequeme Wahrheiten ansprach, wurde er auf ein Podest gehoben.

Umso schlechter hält es Trump aus, wenn er nicht im Mittelpunkt steht. Der so stolze, hemdsärmelige 78-Jährige wird dünnhäutig und seine Aussagen bestenfalls wirr, wenn ihm die Aufmerksamkeit zu entgleiten droht. Während der einzigen Präsidentschaftsdebatte mit Kamala Harris sagte der Republikaner, dass Einwanderer die Haustiere der US-Bürger essen würden. Eine dreiste Lüge, die das Scheinwerferlicht wieder auf Trump lenkte.

Dass sich Trump daran oder an den Pommes, die er bei McDonald's kürzlich medienwirksam schaufelte, verbrennt, ist ausgeschlossen. Seine treuesten Anhänger verzeihen ihm alles. Sie wollen seine Lügen nicht entlarvt wissen oder verstehen sie als bewusste Zuspitzung, die notwendig sei, um auf Probleme hinzuweisen, die sonst niemand anspreche. Migranten seien nun mal kriminell, war von Republikanern nach der Debatte zu hören, unabhängig davon, ob sie Haustiere essen.

Trump hat es zudem geschafft, die US-Politik zu entpolitisieren; Lösungsansätze geraten in den Hintergrund, der Show-Charakter hat mit teils wüsten Beleidigungen Vorrang. Auf dieser Bühne fühlt er sich am wohlsten. Auf ihr spielt es keine Rolle, dass Trump ein verurteilter Straftäter ist, der im Falle einer Niederlage ins Gefängnis und nicht ins Weiße Haus einziehen könnte. Auf ihr hat er die Grenzen des Sag-, Mach- und Vorstellbaren verschoben. Dieser Sieg und das dazugehörige Scheinwerferlicht sind ihm unabhängig vom Ergebnis bei den Wahlen nicht mehr zu nehmen.