Für die Männer an Bord der „Enola Gay“ ist der Schrecken fern. Die Crew an Bord des amerikanischen B-29-Bombers, der am 6. August 1945 die erste Atombombe der Geschichte über Japan abgeworfen hat, sieht an diesem Tag lediglich die gewaltige pilzförmige Wolke in den Himmel über Hiroshima steigen.
Welche zerstörerische Kraft sie in die Welt gesetzt haben, bekommen die Bomberpiloten erst später mit - auch weil es in Hiroshima niemanden mehr gibt, der das Ereignis in die Hauptstadt Tokio melden kann. Die Bombe mit dem Namen „Little Boy“ hat die knapp 300.000 Einwohner zählende Stadt dem Erdboden gleichgemacht, bis auf wenige Ausnahmen steht über viele Kilometer hinweg kein einziges Haus mehr. Die Hitze der Explosion ist so stark, dass Stahl schmilzt und Menschen zu Asche zerfallen. 70.000 Menschen sterben unmittelbar durch die Detonation, ebenso viele kommen in den Monaten danach infolge der erlittenen Verletzungen oder durch die schweren Strahlenschäden ums Leben.
Die Erinnerung an die Apokalypse des 6. August 1945 wird bis heute durch das eindrucksvolle Friedensmuseum in Hiroshima bewahrt, aber auch durch die Arbeit von Nihon Hidankyo. Die Organisation, die 1956 von Überlebenden der beiden US-Atombombenabwürfe gegründet wurde, setzt sich nicht nur für die Unterstützung der Opfer und eine nuklearwaffenfreie Welt ein, sondern sorgt mit der Sammlung von tausenden Augenzeugenberichten auch dafür, dass die Schrecken der Vergangenheit nicht in Vergessenheit geraten.
Am Freitag wurde die japanische Basisbewegung, die schon seit vielen Jahren als potenzieller Friedensnobelpreisträger gehandelt wurde, mit der mit knapp einer Million Euro dotierten Auszeichnung geehrt. Nihon Hidankyo habe gezeigt, „dass Atomwaffen nie wieder verwendet werden dürfen“, sagte der Vorsitzende des norwegischen Nobelpreiskomitees Jørgen Watne Frydnes. Die auch als Hibakusha bekannten Atombomben-Überlebenden „helfen uns, das Unbeschreibliche zu beschreiben, das Undenkbare zu denken und den unvorstellbaren Schmerz, der durch Atomwaffen verursacht wird, irgendwie zu erfassen.“
Mit der Auszeichnung schickt das Nobelpreiskomitee ebenso wie im Vorjahr, als die inhaftierte iranische Menschenrechtsaktivistin Narges Mohammadi geehrt wurde, eine deutliche Botschaft aus. In seiner Rede nannte Frydnes zwar keine konkreten Länder, als er von der sich beschleunigenden Erosion des Atomwaffentabus sprach, doch wer gemeint ist, liegt klar auf der Hand: Seit dem Überfall auf die Ukraine droht der russische Präsident Wladimir Putin immer wieder mit dem Einsatz von Atomwaffen, um den Westen davon abzuhalten, die militärische Unterstützung für die Regierung in Kiew auszuweiten. Zuletzt ließ Putin vor wenigen Wochen die russische Nuklear-Doktrin neu formulieren.
Der Kriegsherr im Kreml ist nicht der Einzige, der auf nukleare Rhetorik setzt: Aus Nordkorea kommen in regelmäßigen Abständen Atomdrohungen, ebenso deutet das iranische Regime, das der Atombombe zunehmend näher kommt, immer wieder an, dass es Nuklearwaffen dann auch offensiv einsetzen könnte.
Toshiyuki Mimaki, der Nihon-Hidankyo-Präsident, der als Kind den Bombenabwurf in Nagasaki überlebt hat, will die Hoffnung dennoch nicht aufgeben. „Ich möchte weiter an die Menschen in der Welt appellieren, die Atomwaffen abzuschaffen und einen dauerhaften Frieden zu erreichen“, sagte der 82-Jährige, der nach der Nachricht über die Verleihung des Friedensnobelpreises die Tränen nicht zurückhalten konnte. „Dass Nuklearwaffen Frieden bringen, ist ein Irrtum. Sie müssen ausnahmslos verboten werden.“