John Morales ist seit mehr als drei Jahrzehnten im Geschäft, seit 2009 präsentiert er auf dem Sender NBC die Wetter-Nachrichten. Doch diesmal kann der für seine Hurrikan-Berichterstattung mit drei Emmys ausgezeichnete Meteorologe nicht weiter, er muss kurz innehalten. „Ich bitte um Verzeihung“, sagt Morales während sich auf der neben ihm eingeblendeten Animation der blutrot eingefärbte Wirbelsturm langsam im Golf von Mexiko voranbewegt. „Aber das ist einfach schreckenerregend.“
Als Morales auf Sendung geht, befindet sich „Milton“ noch nördlich der mexikanischen Halbinsel Yucatan. Doch die Prognosen für die Zugbahn sind eindeutig, in der Nacht auf Donnerstag mitteleuropäischer Zeit wird der Wirbelsturm, dessen Windspitzen zwischenzeitlich schon knapp 270 Stundenkilometern erreichten, auf die Westküste Floridas treffen. Für die Stunden danach erwarten die Meteorologen des Nationalen Hurrikanzentrums nicht nur massive Sturmschäden, sondern auch sintflutartigen Regen und weiträumige Überflutungen.
Schon seit Beginn der Woche rufen die Behörden die Bewohner an der Westküste von Florida zur Evakuierung auf - und die Warnungen klingen dabei mittlerweile ebenso dramatisch wie jene von John Morales. „Wenn Sie sich dafür entscheiden, in einem der Evakuierungsgebiete zu bleiben, werden Sie sterben“, sagt Jane Castor, die Bürgermeisterin der Stadt Tampa, im Sender CNN.
Am Dienstag laufen die Vorbereitungen in den Hochrisikogebieten auch schon auf Hochtouren. Viele Menschen vernageln ihre Fenster mit dicken Brettern und stocken in den sich rasch leerenden Supermärkten ihre Vorräte auf. Auf den Ausfallsstraßen bilden sich schon in den frühen Morgenstunden lange Autokolonnen.
„Milton“ ist der zweite schwere Hurrikan, der die USA binnen kurzer Zeit trifft. Vor knapp zehn Tagen zog Hurrikan „Helene“ über den Südosten hinweg und hinterließ in sechs Bundesstaaten eine Schneise der Verwüstung. Mehr als 190 Menschen starben, Millionen Menschen waren tagelang ohne Strom. Der Wiederaufbau in den betroffenen Gebieten - darunter auch viele Gemeinden in Florida, die sich nun auf „Milton“ vorbereiten - wird nach Einschätzung von Experten Monate, wenn nicht Jahre, dauern.
Dass die USA angesichts der bereits eingetretenen und der noch erwarteten Katastrophe an einem Strang ziehen, ist allerdings nicht absehbar. Im Gegenteil. Vier Wochen vor der Präsidentschaftswahl sind die Hilfsmaßnahmen nach „Helene“ und die Vorbereitung auf „Milton“ zum erbitterten Politikum geworden, in dessen Zuge sich eine Flut von Falschinformationen über das Land ergießt. So wirft Donald Trump bei seinen Wahlkampfveranstaltungen, US-Präsident Joe Biden nicht nur regelmäßig vor, den betroffenen Bundesstaaten kaum zu helfen und das Gespräch mit den zuständigen Gouverneuren zu verweigern. Der republikanische Präsidentschaftskandidat behauptet auch, dass Vizepräsidentin Kamala Harris, die mittlerweile in so gut wie allen Umfragen vor Trump liegt, Geld von der Katastrophenschutzbehörde Fema abgezweigt habe, um illegalen Einwanderern zu helfen.
Trumps Behauptung ist zwar mittlerweile durch zahlreiche Faktenchecks renommierter Medien widerlegt, doch so leicht lassen sich die Falschinformationen nicht mehr einfangen. So beklagt sich die Fema mittlerweile darüber, dass Hilfsmaßnahmen in den betroffenen Gebieten durch die aktuelle Desinformationsflut spürbar erschwert werden. Laut Behörden-Chefin Deanne Criswell, die zuletzt vermehrt Attacken gegen ihre Mitarbeiter in den sozialen Medien beobachtet hat, könnte das sogar dazu führen, dass Betroffene keine Hilfe mehr suchen oder sich davon abhalten lassen, Unterstützung zu beantragen.