Israel hat in vielen Kriegen schon viel erlebt, aber so etwas noch nie. Schon am 13. April war ein Tabu gebrochen worden, als der Iran erstmals in der Geschichte Israel nicht über seine Stellvertreter, sondern direkt angegriffen hatte. Damals hatte Teheran, neben Marschflugkörpern und Drohnen, „nur” rund 100 ballistische Raketen fliegen lassen und, zumindest theoretisch, ein militärisches Ziel anvisiert.

Israels Raketenabwehrschirm verhinderte das Schlimmste

Diesmal wurden, um Israels Abwehrsystem zu überlasten, fast gleichzeitig 180 ballistische Raketen auf verschiedene Bevölkerungszentren abgeschossen. Jede solche Rakete könnte, wenn sie ein Wohngebäude trifft, 50 Menschen und mehr töten. Die iranischen Salven hatten also das Potenzial für den Tod von 10.000 Menschen.

Wieder hat Israels weltweit wohl einzigartiger Luftschutzschirm Schlimmeres verhindert: Das für niedrig fliegende Kurzstreckenraketen zuständige System „Iron Dome” und die Hyperschall-Abwehrrakete „Arrow-3” funktionierten eindrucksvoll. In Israel entstand Sachschaden, niemand wurde getötet oder ernsthaft verletzt. Einziges Todesopfer war ein Mann, der in der palästinensischen Stadt Jericho von einem Raketenfragment erschlagen wurde.

„Heute Abend hat der Iran einen großen Fehler begangen, und er wird dafür bezahlen”, sagte Premier Benjamin Netanjahu. „Das Regime in Teheran versteht nicht, dass wir entschlossen sind, uns zu verteidigen und unsere Feinde einen Preis bezahlen zu lassen.” Wieder einmal stellt sich in Israel die Frage: Soll die Reaktion der furchtbaren Absicht oder dem glimpflichen Ergebnis des iranischen Angriffs angemessen sein? Es gilt aber als sicher, dass die Vergeltung den Iranern weh tun wird. Das Ziel könnten etwa Ölraffinerien sein, mit schweren wirtschaftlichen Folgen für das unter Sanktionen stöhnende Regime. Erst jüngst hat Israels Luftwaffe in 1800 Kilometern Entfernung den von den schiitischen Huthis kontrollierten Hafen Hodeideh im Jemen in Brand geschossen und damit – wohl auch als Signal an den Iran – gezeigt, dass sie die Logistik für Operationen auch über sehr große Distanzen beherrscht. Die vom Iran ausgerüsteten Huthis schießen seit Monaten Raketen auf Israel. Wie auch immer Israels Kabinett entscheidet, nach der jüngsten Raketennacht ist im Kampf gegen den Iran und dessen Proxys der nationale Konsens breiter und fester denn je. Zuletzt waren schon die Schläge gegen die Hisbollah im Libanon bejubelt worden, die dort allerdings auch eine Flüchtlingswelle ausgelöst haben.

Bei Ali Khamenei, dem obersten Führer des Iran, laufen alle Fäden zusammen. Er baut auf regionale Verbündete wie die Hisbollah oder die Houthis im Jemen
Bei Ali Khamenei, dem obersten Führer des Iran, laufen alle Fäden zusammen. Er baut auf regionale Verbündete wie die Hisbollah oder die Houthis im Jemen © AFP

Irans Ölraffinerien als mögliche Ziele

Netanjahu musste sich sogar von der Linksopposition die Frage gefallen lassen, warum er mit der Offensive gegen die Hisbollah so lange gezögert habe. Dass die rund 60.000 Israelis, die durch das Dauerfeuer auf Nordisrael vertrieben wurden, nur heimkehren können, wenn die libanesische Terrormiliz militärisch entscheidend geschwächt wird, ist klar. Nach dem direkten Eingreifen des Iran und wegen der Gefahr eines regionalen Kriegs gerieten andere Fronten wie der anhaltende Krieg im Gazastreifen vorläufig in den Hintergrund.

Israel Premier Benjamin Netanjahu hat seit den erfolgreichen Schlägen gegen die Hisbollah politisch wieder Oberwasser
Israel Premier Benjamin Netanjahu hat seit den erfolgreichen Schlägen gegen die Hisbollah politisch wieder Oberwasser © IMAGO

Erstmals seit dem Beginn der israelischen Bodenoffensive im Libanon meldete die Hisbollah gestern direkte Kämpfe. Unterdessen verweigerte Israel UNO-Generalsekretär Antonio Guterres die Einreise. Außenminister Israel Katz begründete dies damit, dass Guterres den iranischen Großangriff auf Israel nicht „unmissverständlich verurteilt“ habe.