Die Erfolgsaussichten der von den USA und anderen Ländern geforderten Waffenpause im Konflikt zwischen Israel und der Hisbollah-Miliz bleiben ungewiss. Die gegenseitigen Angriffe gehen ungemindert weiter. Im Libanon wurden innerhalb eines Tages nach Behördenangaben fast 100 Menschen getötet, auch im Gazastreifen kommen weiter Menschen ums Leben. Mit Spannung erwartet wird eine Rede des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu vor der UNO-Vollversammlung.
Die von einer Staatengruppe erhobene Forderung nach einer dreiwöchigen Waffenruhe wurde nach Darstellung der US-Regierung mit Israel abgestimmt. Die Erklärung sei „nicht einfach im luftleeren Raum verfasst“ worden, sagte der Kommunikationsdirektor des Weißen Hauses, John Kirby, „sondern auch mit Israel selbst“. Netanyahu sagte bei seiner Ankunft in New York, wo er am Nachmittag bei der Vollversammlung die Rede halten sollte, hingegen, sein Land werde die Hisbollah so lange angreifen, bis die von der Nordgrenze evakuierten Israelis sicher nach Hause zurückkehren könnten.
Im Zusammenhang mit der US-Initiative ließ er mitteilen, es gebe viele „Falschmeldungen“. Die USA hätten Israel nur die Absicht mitgeteilt, gemeinsam mit anderen einen Vorschlag für einen Waffenstillstand vorzulegen, wie das Presseamt der Regierung in Jerusalem weiter mitteilte.
Am Donnerstag hatte Außenminister Israel Katz erklärt, dass es keine Feuerpause geben werde. Auch andere einflussreiche israelische Politiker hatten eine Waffenruhe abgelehnt und argumentiert, dass der Druck auf die Hisbollah aufrechtgehalten werden müsse. Netanyahu ging in seiner Erklärung auf diese Äußerungen nicht ein, sondern sagte lediglich, dass es im Zusammenhang mit der US-Initiative viele falsche Berichte gegeben habe.
Eine Staatengruppe um die USA und Deutschland sowie einflussreiche arabische Länder fordert eine Kampfpause von 21 Tagen, um in der Zeit eine diplomatische Lösung des Konflikts zu erreichen. Laut der israelischen Zeitung „Haaretz“ sollen die angestrebten Verhandlungen zu einem Ende des Kriegs in der Region und auch zur Freilassung der noch immer von der Hamas im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln aus Israel führen. Der Aufruf zur Waffenruhe war nach US-Darstellung mit der israelischen Seite abgestimmt. Netanyahu machte allerdings schnell deutlich, dass man die Hisbollah weiter angreifen werde. Viele Staaten haben dennoch die Hoffnung, dass er bei den Vereinten Nationen ein Signal der Entspannung senden könnte.
Weitere Militäreinsätze angekündigt
Unterdessen kündigte der israelische Verteidigungsminister Yoav Gallant weitere Militäreinsätze im Libanon an. „Wir müssen noch weitere Missionen erfüllen“, um die sichere Rückkehr vertriebener Israelis in ihre Häuser im Norden zu ermöglichen, sagte er nach Angaben seines Büros. Israels Regierung hat dies zu einem ihrer Kriegsziele erklärt und will die Hisbollah deshalb dazu zwingen, sich aus dem Grenzgebiet zurückzuziehen.
Die israelische Armee griff eigenen Angaben zufolge 220 Ziele im Nachbarland an, die der Hisbollah zugerechnet werden - darunter einzelne Milizionäre, Waffenlager und Raketenwerfer. Umgekehrt seien rund 170 Geschosse aus dem Libanon auf israelisches Gebiet abgefeuert worden. Nach Angaben des libanesischen Gesundheitsministeriums kamen bei israelischen Bombardements innerhalb eines Tages mindestens 92 Menschen ums Leben, mehr als 150 wurden demnach verletzt.
Bei einem der Angriffe in einem Vorort der libanesischen Hauptstadt Beirut wurde erneut ein wichtiges Hisbollah-Mitglied getötet. Der Kommandant der Drohnen-Einheit der Miliz, Mohammed Hussein Srur, habe zahlreiche Angriffe mit Flugrobotern und Marschflugkörpern auf Israel angeleitet, erklärte das Militär. Die Hisbollah bestätigte seinen Tod.
Die vom Iran unterstützte Schiiten-Miliz schoss nach eigenen Angaben unter anderem 80 Raketen auf den israelischen Ort Safed ab. Israelischen Angaben zufolge wurde ein Haus in einem Nachbarort getroffen, zudem sei ein Mann durch Granatsplitter verletzt worden.
Raketenalarm im Zentrum Israels
In mehreren Gebieten im Zentrum Israels und in der Küstenmetropole Tel Aviv gab es in der Nacht erneut Raketenalarm. Die Warnsirenen ertönten laut Armee als Reaktion auf ein - letztlich abgefangenes - Geschoss aus dem Jemen, wo die islamistischen Houthi-Rebellen immer wieder Raketen auf Ziele in Israel abfeuern. Zuletzt war am Mittwoch Raketenalarm ausgelöst worden, als erstmals ein von der Hisbollah abgefeuertes Geschoß bis zum Großraum Tel Aviv vordrang.
In der Früh wurde Israel nach Angaben der Armee mit zehn Raketen aus dem Libanon angegriffen. Im Himmel über Haifa, der wichtigsten Hafenstadt des Landes, war der Rauch von Explosionen zu sehen. Die Armee teilte mit, einige der Geschosse, seien abgeschossen, andere in unbebautem Gelände niedergegangen. Über mögliche Opfer wurde nichts mitgeteilt. Die Schiitenmiliz Hisbollah im Libanon teilte mit, sie haben die Region Haifa mit Raketen des Typs Fadi 1 angegriffen. Sie beschießt Israel seit Beginn des Gaza-Krieges vor bald einem Jahr fast täglich. Die mit dem Iran verbündete Miliz will damit nach eigenen Angaben der Hamas im Gazastreifen im Kampf gegen Israel beistehen und eine Waffenruhe im Gaza-Krieg erreichen.
Bei einem mutmaßlich israelischen Angriff in Syrien nahe der Grenze zum Libanon sind syrischen Staatsmedien zufolge fünf Soldaten getötet worden. Der Angriff in der Nacht habe auf einen Militärstandort nahe dem Ort Kfar Jabus unweit der libanesischen Grenze gezielt, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Sana. Ein weiterer Soldat sei verletzt worden. Das israelische Militär äußerte sich zunächst nicht zu dem Vorfall.
Infolge der intensiven israelischen Luftangriffe mit mehr als 700 Toten seit Montag suchen im Libanon Zehntausende Zuflucht in Notunterkünften. Über 70.000 Vertriebene wurden dort bisher nach Angaben des Innenministeriums aufgenommen.
Die genaue Zahl der Binnenvertriebenen lässt sich derzeit schwer ermitteln. Viele Menschen sind zu Verwandten geflüchtet, andere schlafen auf den Straßen. Der libanesische Gesundheitsminister Firass Abiad sagte dem Sender CNN, er gehe von 400.000 bis 500.000 Binnenvertriebenen aus. Mehr als 30.000 Menschen flüchteten laut UNO-Angaben seit Montag auch nach Syrien - vor allem syrische Staatsbürger. Nach Angaben des UNO-Flüchtlingshilfswerks UNHCR flohen aber auch Libanesen in das Nachbarland, in dem seit 2011 Bürgerkrieg herrscht.
1,5 Millionen syrische Flüchtlinge im Libanon
Im Libanon, der selbst nur etwa sechs Millionen Einwohner hat, leben nach Regierungsangaben 1,5 Millionen syrische Flüchtlinge. Bei den israelischen Bombardements kamen in den vergangenen Tagen mehr als 100 von ihnen ums Leben, wie die „Syrische Beobachtungsstelle“ mit Sitz in London mitteilte. Die Menschen, die vor dem Kriegshorror in ihrem Land geflohen seien, müssten harte Entscheidungen treffen: im Libanon bleiben unter israelischem Beschuss oder zurückkehren in von der syrischen Regierung kontrollierte Gebiete, wo ihnen die Festnahme und Verschleppung droht.
Im Schatten der Bombardements im Libanon dauern auch die Kämpfe im Gazastreifen an. Bei einem israelischen Angriff auf ein ehemaliges Schulgebäude im Norden des Gebiets kamen nach kaum überprüfbaren palästinensischen Angaben mindestens elf Menschen ums Leben, 22 weitere wurden demnach verletzt. Unter den Toten sollen auch Minderjährige sein, wie die von der Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde im Gazastreifen mitteilte. Demnach sollen in dem Gebäude im Flüchtlingsviertel Jabaliya Vertriebene untergebracht gewesen sein.
Israels Armee teilte mit, Terroristen der islamistischen Hamas hätten das Gebäude der ehemaligen Schule als Kommandozentrale genutzt und dort Anschläge auf den jüdischen Staat geplant. Vor dem Angriff habe die Armee zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um die Gefahr für Zivilisten zu mindern. Israel wirft der Hamas vor, sich gezielt in zivilen Gebäuden zu verschanzen und Unschuldige als menschliche Schutzschilde zu missbrauchen. Die Angaben beider Seiten lassen sich in der Regel kaum unabhängig überprüfen.