Israelische Streitkräfte haben ihre Angriffe im Libanon fortgesetzt. Insidern zufolge wurde erstmals die libanesische Küstenstadt Dschije angegriffen. Das berichteten zwei mit der Angelegenheit vertraute Personen aus Sicherheitskreisen der Nachrichtenagentur Reuters. Laut libanesischen Sicherheitskreisen wiederum hat die israelische Armee in der Nacht auf Mittwoch ein „Lager“ im Küstenort Saadijat südlich von Beirut ins Visier genommen.

Waffenlager und Raketenabschussrampen als Ziel

Die Stadt Dschije liegt 75 Kilometer nördlich der Grenze zu Israel. Einzelheiten zu möglichen Schäden oder Opfern sind zunächst nicht bekannt. Das Ziel des Luftangriffs in Saadijat liegt rund 20 Kilometer südlich der libanesischen Hauptstadt. AFP-Journalisten in Beirut berichteten, eine Explosion gehört zu haben.

Die israelische Luftwaffe selber sprach davon, am Dienstagabend Dutzende Ziele der proiranischen Hisbollah im Osten und Süden des Nachbarlandes attackiert zu haben, darunter Waffenlager und Raketenabschussrampen. Die libanesische Staatsagentur NNA meldete schwere Bombardements in mehreren Orten im Süden des Libanon sowie weitere Angriffe in Baalbek im Osten des Landes.

Auch Israel Ziel von Angriffen

Die Hisbollah reklamierte indes ihrerseits zahlreiche Angriffe auf israelisches Gebiet für sich. Die Schiitenorganisation teilte mit, unter anderem zweimal mit Raketensalven einen Militärstützpunkt im Norden Israels in der Nähe der Stadt Safed angegriffen zu haben.

In der israelischen Küstenmetropole Tel Aviv und anderen Städten des Landes ist am frühen Morgen Raketenalarm ausgelöst worden. Die Sirenen heulten praktisch im gesamten Zentrum Israels, wie die israelische Armee auf der Online-Plattform X mitteilte. Eine aus dem Libanon abgefeuerte Rakete sei über dem Großraum Tel Aviv abgefangen worden. Weitere Details zu dem Raketenangriff wurden zunächst nicht mitgeteilt.

Raketenalarm in Tel Aviv

In Tel Aviv war zuletzt Ende Mai Raketenalarm ausgelöst worden, damals wegen eines Angriffs der islamistischen Hamas. Danach heulten die Alarmsirenen nur noch in anderen Landesteilen. Es ist auch das erste Mal überhaupt seit dem Massaker vom 7. Oktober vergangenen Jahres und dem darauffolgenden Beginn des Gaza-Kriegs, dass eine Rakete aus dem Libanon bis zum Großraum Tel Aviv vordrang.

Die Zahl der Todesopfer nach den israelischen Angriffen seit Montagmorgen ist nach Angaben der libanesischen Regierung auf 569 gestiegen. 1.835 Menschen seien dabei verletzt worden, teilte das libanesische Gesundheitsministerium mit.

Kritik an Äußerungen Bidens

Von den USA hätte sich die libanesische Regierung mehr Unterstützung erwartet. Der libanesische Außenminister Abdallah Bou Habib zeigt sich enttäuscht über die Äußerungen von US-Präsident Joe Biden zur eskalierenden Krise zwischen Israel und dem Libanon. „Das war nicht stark. Es ist nicht vielversprechend und wird das Problem nicht lösen“, sagt Bou Habib mit Blick auf Bidens Rede vor den Vereinten Nationen (UN).

Trotz seiner Kritik äußert er die Hoffnung, dass die Regierung in Washington doch noch helfend eingreifen könnte. Die USA seien das einzige Land, das im Nahen Osten und in Bezug auf den Libanon wirklich etwas bewirken könne, sagt er bei einer virtuellen Veranstaltung der Carnegie-Stiftung für internationalen Frieden in New York. Rund eine halbe Million Menschen im Libanon seien bereits vertrieben worden. Zudem hoffe der libanesische Ministerpräsident auf ein Treffen mit US-Vertretern in den nächsten zwei Tagen.

In seiner Rede vor der UN-Vollversammlung hatte Biden versucht, die Spannungen zu entschärfen: Ein umfassender Krieg liege nicht im Interesse irgendeiner Seite, eine diplomatische Lösung sei noch möglich.

Hochrangiger Kommandant Ibrahim Qubaisi getötet

Unterdessen hat die libanesische Hisbollah den Tod des Leiters ihrer Raketeneinheit, Ibrahim Qubaisi, bei einem israelischen Luftangriff in einem Vorort der Hauptstadt Beirut bestätigt. Das berichteten mehrere Medien übereinstimmend unter Berufung auf eine Mitteilung der Schiiten-Miliz. Kubaisi sei unter anderem für Raketenangriffe auf Israel sowie für Anschläge auf israelische Zivilisten verantwortlich gewesen, so die israelische Armee. Das libanesische Gesundheitsministerium teilte nach dem Luftangriff mit, es habe sechs Tote und 15 Verletzte gegeben. Augenzeugen zufolge wurden zwei Stockwerke eines Gebäudes zerstört. In der vor allem von Schiiten bewohnten Gegend ist die mit der Hisbollah verbündete Amal-Bewegung besonders aktiv.

Israel steht unter Dauerbeschuss durch die Hisbollah

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu kündigte an, Israel werde „weiterhin die Hisbollah angreifen“. An „das libanesische Volk“ gerichtet fügte er in einem von seinem Büro veröffentlichten Video hinzu: „Unser Krieg gilt nicht Ihnen, unser Krieg gilt der Hisbollah“, aber „wer eine Rakete in seinem Wohnzimmer oder seiner Garage hat, hat kein Zuhause mehr“, erklärte Netanyahu auf einem Militärstützpunkt. „(Hisbollah-Chef Hassan) Nasrallah führt Euch an den Rand des Abgrunds“, sagte Netanyahu weiter. „Befreit Euch aus Nasrallahs Griff, zu Eurem eigenen Wohl.“

Seit Oktober steht Israels Norden unter Dauerbeschuss durch die mit der radikalislamischen Hamas verbündete Hisbollah. Israel reagiert auf die Angriffe mit Gegenangriffen im Libanon.

Israel gilt seit 1979 als Erzfeind des Iran

Am Montag waren bei massiven israelischen Angriffen auf den Libanon nach Angaben des libanesischen Gesundheitsministeriums mehr als 550 Menschen getötet worden, darunter Dutzende Kinder. Die israelische Armee erklärte, sie habe rund 1600 Ziele angegriffen und dabei eine „große Anzahl“ von Kämpfern getötet. Die jüngsten israelischen Angriffe erfolgten kaum eine Woche nach den Explosionen von hunderten Pagern und Walkie-Talkies der Hisbollah, bei denen 39 Menschen getötet und fast 3000 weitere verletzt wurden.

Unterdessen traf der iranische Präsident Massoud Pezeshkian anlässlich seines Besuchs bei der UNO-Generalversammlung in New York überraschend einen israelischen Professor. Lior Sternfeld, Forscher an der Pennsylvania State University, bestätigte die Begegnung in den USA. „Das Treffen war interessant, und ich hoffe, dass der iranische Präsident in der Lage sein wird, den Iran zu einer konstruktiven Rolle bei der Befriedung des Nahen Ostens zu führen“, teilte der israelische Professor mit. Das Gespräch erfolgte demnach im Rahmen eines interreligiösen Dialogs. Iranische Medien berichteten nicht über das Treffen.

Seit der Revolution von 1979 gilt Israel als Erzfeind der Islamischen Republik. Kontakte mit israelischen Staatsbürgern können im Iran teils Spionagevorwürfe nach sich ziehen. Irans Sportverbände etwa untersagen es ihren Mitgliedern, gegen Israelis anzutreten. Neben der Feindschaft auf politischer Ebene haben die meisten Iranerinnen und Iraner jedoch kein Problem mit Israelis. In Teheran ist außerdem mit zahlreichen Synagogen die größte jüdische Gemeinschaft außerhalb Israels im Nahen Osten zu Hause.