Das kommt selten vor. Der Sieger des Abends macht erstmal erleichtert einen Diener vor dem Publikum im Saal. „Es war ein hartes Stück Arbeit“, sagt Dietmar Woidke am Sonntag um kurz nach 18 Uhr auf der Wahlparty der Brandenburger SPD und wird gleich mal grundsätzlich: „Wie oft in der Geschichte: Es waren Sozialdemokraten, die Extremisten auf dem Weg zur Macht gestoppt haben.“ Woidke hat Steherqualitäten. Der Bauernsohn kann sogar Mähdrescherfahren. Jetzt ist klar: Woidke schafft noch ganz andere Dinge. Brandenburgs Regierungschef holte mit seinen Sozialdemokraten bei den Landtagswahlen rund einunddreißig Prozent. Damit liegt die SPD knapp vor der AfD, die knapp unter dreißig Prozent landete. „Zurückhaltend euphorisch“, zeigt sich Woidke. Doch blieben die Zahlen am Abend in Bewegung.
Den Prognosen zufolge erreicht die SPD 31 bis 32 Prozent (2019: 23,5 Prozent). Die AfD, die der Landesverfassungsschutz als rechtsextremen Verdachtsfall einstuft, steigert sich auf 29 bis 30 Prozent (23,5). Dahinter folgen die CDU mit 11,5 bis 12 Prozent (15,6) und das BSW, das aus dem Stand 12 Prozent erreicht. Die Grünen verlieren massiv und landen bei 4,5 bis 5 Prozent (10,8). Die Linke rutscht ebenfalls dramatisch ab auf 3 bis 4 Prozent (10,7). BVB/Freie Wähler kommen auf 2,5 bis 2,7 Prozent (5,0). Die FDP wird nicht einzeln ausgewiesen.
Vor der Sommerpause hatte er mit seiner SPD noch unter zwanzig Prozent gelegen. Dann wagte Woidke alles: Entweder er gewinnt die Wahl oder er verlässt die Politik, machte er klar und erfuhr bald breite Unterstützung. „Ich wünsche mir, dass Woidke gewinnt“, sagte selbst Michael Kretschmer. Check: Der Mann ist Premier in Sachsen und CDU-Mitglied. Er weiß aber auch, wie schwierig das Regieren mit den neuen Mehrheiten ist. Wie schon in Sachsen und Thüringen wird es auch in Brandenburg nicht einfach mit der Regierungsbildung. Die bisherigen Koalitionspartner CDU und Grüne schwächeln. Die Union kam auf historisch schwache zwölf Prozent, die Grünen müssen mit knapp fünf Prozent um den Einzug ins Parlament bangen. Klima zieht nicht derzeit. Nicht nur im Energiewendeland Brandenburg, wo Tesla E-Autos baut und Sonne und Wind spätestens 2038 heimische Braunkohle als Stromlieferant ersetzen.
Woidke lässt Kanzler außen vor
Aufbruchstimmung kommt aber nicht auf. Davon profitiert nicht nur die von den Behörden als rechtsextrem eingestufte AfD. Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) kam aus dem Stand auf rund zwölf Prozent. Die Linke blieb nach Sachsen auch in Brandenburg unter fünf Prozent. Deutschlands Parteienlandschaft stellt sich neu auf.
Der Leitartikel von Peter Riesbeck zum Thema
Das spürt auch die SPD. „Es ist der Erfolg der Parteifreunde in Brandenburg und insbesondere von Dietmar Woidke“, sagte Generalsekretär Kevin Kühnert. Das klang kühl. Es kam auch kein Wort zum Kanzler. Wer mochte, konnte daraus eine kleine Kritik an Scholz sehen. Woidke hatte auf dessen Wahlkampfhilfe verzichtet. Obwohl Scholz in Brandenburg seinen Wahlkreis hat. Auch der Präsidiumssitzung der SPD am Montag in Berlin bleibt Woidke fern. Novum für einen Wahlsieger. Mehr Distanz geht also nicht. Der Erfolg in Brandenburg verschafft Scholz nur wenig Entspannung. Immerhin: Woidkes Aufholjagd nährt des Kanzlers Glaube an eine Wahlkampfwende. Auch im nächsten Jahr.
Die CDU hat in Brandenburg traditionell einen schweren Stand.
CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann mochte im bitteren Ergebnis daher kein Signal für den Bund erkennen. Schon gar nicht für CDU-Chef Friedrich Merz, der am Montag offiziell zum Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl 2025 gekürt wird. „Das ist der Abend von Herrn Woidke. Er ist All-In gegangen und hat gewonnen. So sieht Glaubwürdigkeit aus“, so Linnenmann. Auch er betonte den landespolitischen Charakter.
Doch hat das Ergebnis auch Signale für den Bund. Nicht nur für die SPD, in der es einsamer wird um Scholz. In Brandenburg haben vor allem die über 70-Jährigen SPD gewählt. Zukunft sieht anders aus. Die CDU hingegen verliert mögliche Koalitionspartner. In Sachsen und Thüringen will es die Union mit dem BSW probieren. Doch regen sich erste Bedenken. „Sobald in Thüringen oder Sachsen über Krieg und Frieden Verabredungen getroffen werden, die uns zu Liebedienern Russlands machen wollen und unsere Bindung an die Nato und USA infrage stellen, ist die Grenze erreicht“, stellte Parteichef Merz am Wochenende klar. Gegenüber der AfD bleibt die CDU aber hart. „Die AfD hat damit begonnen, Menschen zu Feinden zu erklären“, warnt Kretschmer. Wird schwierig, Mehrheiten zu finden im nächsten Jahr.
Die österreichische Autorin Eva Menasse hatte bei einer Debatte in Brandenburgs Landeshauptstadt Potsdam daher einen eigenen Rat an die Union. „Wir hatten diese rechten Nasen schon zweimal in der Regierung und beide Male hat es keine zwei Jahre gedauert, bis alles in Schutt und Asche gefallen ist“, so Menasse. Einbinden und Entzaubern? Hat nach Menasse in Österreich immer funktioniert. Bislang.