Am Montag begannen die neuen deutschen Grenzkontrollen und seither bin ich sechsmal mit dem Auto über einen deutschen Grenzübergang gefahren. Nicht, weil dieses Abenteuer gelockt hätte; vielmehr habe ich die letzten Tage im EU-Parlament in Straßburg verbracht und mein Quartier, so wie viele Abgeordnete und EP-Mitarbeiter, auf der deutschen Seite im Umfeld von Kehl bezogen. Der Grenzübergang zwischen Frankreich und Deutschland besteht aus einer Brücke über den Rhein, mit klingendem Namen Europabrücke. Nebenan verbindet sogar eine ganz normale Straßenbahn die beiden Länder. Auf der deutschen Seite ist eine Polizeistation.
Selten, ganz selten, wurden hier in der Vergangenheit stichprobenartige Kontrollen durchgeführt. Ein einziges Mal wurde ernsthaft abgesperrt und kontrolliert, das war nach dem Weihnachtsattentat durch einen Terroristen. Und jetzt, nachdem die deutsche Innenministerin Nancy Faeser massive Kontrollen an allen Übergängen angekündigt hatte? Es passierte das, was wir in Straßburg alle vermutet hatten. Nämlich nichts. Keine Sperre, keine Kontrolle, kein Stau. Wir sahen das eine oder andere Kamerateam, für eine Reportage in der „Süddeutschen“ wurde wohl ein Flixbus gefilzt, das eine oder andere Polizeiauto war am Straßenrand geparkt. Ein Kollege hier berichtet, er sei tatsächlich aufgehalten worden, Stichprobe offensichtlich. Das Ganze ist, wie zu erwarten, ein innenpolitisches Spektakel. Man könnte auch sagen: eine Farce. Seit 2015 wird übrigens an der österreichisch-deutschen Grenze kontrolliert, Kampf gegen den Terrorismus lautet das Argument. Es müssten in diesen neun Jahren wohl Hunderte Terroristen dingfest gemacht worden sein, aber das haben sie wohl geheim gehalten – mir wäre kein einziger Fall bekannt.
Geheime Liste bis zur letzten Sekunde
Geheim gehalten hat auch Ursula von der Leyen ihre Kommissarsliste, und zwar selbst noch in der „Konferenz der Präsidenten“ im EU-Parlament. Dort dachten alle, sie werde danach der Presse nur die grobe Marschrichtung umreißen. Stattdessen präsentierte sie im bumvollen Saal (ich hatte gerade noch einen Stehplatz ergattert) eine bestens aufbereitete PowerPoint-Übersicht mit allen Namen und Funktionen. Allgemein herrscht hier im Kollegenkreis die Ansicht, die Kommissare selbst hätten von ihren Aufgabengebieten erst in diesem Augenblick erfahren. Bekanntlich wurde es für Magnus Brunner nicht irgendwas mit Finanzen, sondern der schwere Brocken Migration. Keine Ahnung, ob das die ÖVP nun ihren Wirtschafts- und Industrieflügeln erklären muss. Und wenn, wie.
Brunner war in Straßburg, wollte aber noch keine Pressetermine machen. Abends war er dann schon wieder in Wien und dann ist vielleicht im Outlook irgendwas verrutscht, aber als am Mittwoch die gesamte neue Kommissarsriege zum Meet-and-Greet bei der Chefin in Brüssel versammelt war, fehlte der neue Migrationskommissar auf dem Gruppenbild mit Präsidentin (siehe Suchbild oben). Dass er an der Grenze gescheitert wäre, ist eher unwahrscheinlich. Er war in Wien im Plenum, das habe sich so ergeben und ganz sicher nichts mit seinem unerwarteten Dossier zu tun, heißt es aus seinem Büro.
Weil gespart wird, sind die Töpfe leer
Von der Leyen ist wieder hoch motiviert, ihr Terminkalender füllt sich schneller, als die Turbinen ihres Fliegers kalt werden können. Am Donnerstag reiste sie zu Donald Tusk ins polnische Überflutungsgebiet und traf dort auch Kanzler Karl Nehammer, um Hilfsmaßnahmen zu besprechen. Der Bundeskanzler trete für eine erhebliche finanzielle Unterstützung aus europäischen Fonds sowie für gezielte Hilfsprogramme ein, die speziell für Naturkatastrophen entwickelt wurden, hieß es aus seinem Büro. Nehammer: „Wir müssen die EU-Instrumente, die für Katastrophen wie diese geschaffen wurden, nutzen.“
Da hört man jetzt das leise Rauschen eines Bumerangs. Österreich, stolzer Teil der „frugalen“ EU-Länder, feiert es jedes Mal als Erfolg, wenn nötige Zahlungen ins EU-Budget reduziert werden können. So hatte die Kommission zuletzt eine Aufstockung um 66 Milliarden Euro gefordert, um verlangte Aufgaben wie Grenzschutz oder Migrationsmanagement erfüllen zu können. Geworden ist es weit weniger, gerade Österreich wurde nicht müde, von „Umschichtungen“ zu sprechen. Der Wunsch wurde prompt erfüllt: Einerseits wurden wichtige Programme wie „Erasmus“ eingedampft (mehr als die Hälfte der Anträge aus Österreich mussten deshalb schon abgelehnt werden, erzählte uns Neos-Abgeordnete Anna Stürgkh diese Woche in Straßburg) – und, Trommelwirbel, es wird auch beim Katastrophenschutz gespart.
Das EU-Parlament versucht sich in einer Resolution dagegen zu wehren. Der Solidaritätsfonds sei längst ausgeschöpft, berichtet Rasmus Andresen von den Grünen: Der Haushaltsentwurf der EU-Kommission sehe für den Haushalt 2025 insgesamt 203 Millionen Euro vor, 37 Millionen Euro weniger als 2024. In der Tat: die nun in Polen zugesagten 10 Milliarden kommen aus dem Kohäsionsfonds.