Am Mittwoch kamen mindestens 20 Menschen ums Leben und 450 weitere wurden verletzt, als Walkie-Talkies, die von der Hisbollah-Miliz genutzt wurden, explodierten. Während UN-Generalsekretär António Guterres von einem möglichen „Präventivschlag vor einer umfassenderen Militäroperation“ sprach, verkündete Israels Verteidigungsminister Joaw Galant die Verlegung von Truppen an die Grenze zum Libanon.

Bereits am Dienstag sind zeitgleich an mehreren Orten im Libanon Hunderte Pager explodiert – dabei wurden rund 2800 Personen verletzt und mindestens 12 Menschen starben. Die Hisbollah machte Israel für die Explosionen verantwortlich, Israel äußerte sich weder zu den Vorfällen am Dienstag noch zu den Explosionen vom Mittwoch.

Nach den Explosionen hat der Chef der schiitischen Miliz mit „harter Vergeltung“ gedroht. Israel werde seine „gerechte Strafe“ erhalten, sagte Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah am Donnerstag in einer Fernsehansprache. Israel habe „alle roten Linien überschritten“.

Schneider: „Es ist für die Hisbollah eine ziemliche Demütigung“

Am Donnerstagabend war der Nahost-Experte Marcus Schneider von der Friedrich-Ebert-Stiftung in der ZiB 2 aus Berlin zugeschaltet, um über die Angriffe und ihre Folgen zu sprechen. „Es ist natürlich für die Hisbollah eine ziemliche Demütigung, ich glaube, es ist tatsächlich auch eine große Niederlage – die größte Niederlage, die die Organisation hinstecken musste“, so der Experte. Die Miliz sei auch durch die Schäden in einem ihrer Kommunikationssysteme eingeschränkt, sollte dies aber wegstecken können – immerhin sei die Hisbollah sehr vielfältig und kräftig.

Die Hisbollah würde bereits auf die Explosionen reagieren, in den letzten zwei Tagen gab es weiterhin Raketen- und Drohnenangriffe auf Israel. Beide Kriegsparteien würden immer weiter an der Eskalationsschraube drehen, um die andere Seite abzuschrecken und aus dem Krieg zu zwingen. „Das ist bisher nicht so passiert“, sagt Schneider. Der Experte hält es für möglich, dass man auf eine größere Reaktion der Hisbollah noch warten müsse.

Unklarheit über israelische Bodenoffensive im Libanon

Ob Israel Bodentruppen im Libanon einsetzen werde, sei noch eine offene Frage. „Sie haben angekündigt, sie wollen eigentlich eine Art Pufferzone einrichten, im Norden, um die eigene Bevölkerung und Flüchtlinge auch wieder in die Nordgebiete zurückführen zu können“, so Marcus Schneider. Ob sich eine Bodenoffensive auf den Südlibanon beschränken ließe oder eine derartige Aktion bedeuten würde, dass es zu einem großen Krieg mit schweren Auswirkungen für Israel kommen würde, sei etwas, worauf das Land sehr genau achten müsse.

Viele Völkerrechtler würden sagen, dass die neuesten Angriffe Israels nicht ganz völkerrechtskonform waren – immerhin wusste man nicht, wer diese Pager besaß. „Natürlich sind das viele Mitglieder der Hisbollah, aber es ist eben auch die Zivilbevölkerung, die da getroffen wurde. Auch Frauen und Kinder teilweise“, meint der Nahost-Experte. Das wäre also eine ganz andere Art der Kriegsführung.

Israel wolle die Hamas endgültig entwaffnen

Die einzige Macht, die Einfluss auf Israel ausüben könne, seien die Vereinigten Staaten von Amerika. Schneider ist sehr skeptisch, wenn es um das Gelingen eines Abkommens mit der Hamas geht: „Man versucht das ja seit vielen Monaten.“ Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu skandierte vor dem amerikanischen Kongress, dass er auf einen totalen Sieg setze. „Ich kann mir im Augenblick tatsächlich nicht vorstellen, dass wir ein Jahr nach Kriegsausbruch zu einem Waffenstillstand kommen“, so der Experte. Viel eher würde Israel alles daran setzen, die Hamas endgültig zu entwaffnen.