Der Urnengang wurde von vielen auch als Abstimmung über Georgiens europäische Zukunft gesehen. Dass die pro-russische Regierungspartei „Georgischer Traum“ vor knapp einem Monat den Wahlsieg davontrug, sorgt seither in Tiflis für Proteste – Vorwürfe der Wahlmanipulation stehen im Raum. Am Montag trat das neugewählte Parlament erstmals zusammen, die Opposition boykottierte die Sitzung. Dass Georgien demnächst EU-Mitgliedstaat wird, scheint damit knapp ein Jahr, nachdem das Land Kandidatenstatus erhalten hat, unwahrscheinlich – vor allem, seit die EU wegen des zunehmend autoritären Kurses der Regierungspartei im Sommer den Beitrittsprozess schon wieder eingefroren hat.

Lettland, Estland und Litauen konnten bereits vor 20 Jahren der EU beitreten

Den Warteraum der EU teilt sich Georgien neben mehreren Westbalkan-Staaten auch mit zwei weiteren früheren Sowjet-Republiken. Doch in der Ukraine herrscht Krieg, die Republik Moldau, deren proeuropäischer Präsidentin kürzlich die Wiederwahl gelang, hat mit abtrünnigen Provinzen zu kämpfen. Auch hier scheint der Weg in die EU noch weit.

In drei anderen Staaten mit Sowjet-Vergangenheit wurde heuer indes das 20-jährige Jubiläum des EU-Beitritts begangen. Estland, Lettland und Litauen konnten bereits 13 Jahre nach Unabhängigkeit von der Sowjetunion der europäischen Staatengemeinschaft beitreten. Was haben die EU-Musterschüler im Baltikum anders gemacht?

Erst spät unter russischer Herrschaft

Schon die Geschichte Lettlands unterscheide sich von der anderer Staaten mit Sowjet-Vergangenheit, erklärt Gints Apals, Leiter der Abteilung für Public History des lettischen Okkupationsmuseums. Jahrhundertelang stand das heutige Lettland erst unter deutscher, dann unter polnisch-schwedischer Herrschaft, erst im Laufe des 18. Jahrhunderts wurde Lettland dann von Russland erobert und unter Alexander III. „russifiziert“.  In einer ersten Phase der Unabhängigkeit nach dem Ersten Weltkrieg war Lettland vollwertiges Mitglied des Völkerbundes, seine spätere Annexion durch die Sowjetunion sei von mehr als 30 Staaten, darunter die USA, Großbritannien und Frankreich, nie anerkannt worden, sagt Apals.

EU-Beitritt „nahezu Konsens unter Parteien“

Nach Zerfall der Sowjetunion hat Lettland den Blick bald wieder Richtung Westen gerichtet. Dass man einen EU-Beitritt anstreben würde, sei schließlich „nahezu Konsens unter den politischen Parteien“ gewesen, sagt Toms Rostoks, Politikwissenschaftler mit Fokus auf Außen- und Verteidigungspolitik. Nötige Reformen wurden angegangen, trotz häufig wechselnder Regierungen habe die junge Republik den Beitritt zielstrebig vorangetrieben. „Die Regierungen haben gewechselt, nicht aber die Politik“, sagt Rostoks. „Es heißt Beitrittsverhandlungen, aber es geht darum, dass der Beitrittskandidat die Regeln akzeptiert. Wir waren bereit, zu tun, worum wir gebeten wurden.“

Was tun mit unzähligen Staatenlosen?

Einfach war der Wandel von der Sowjet-Republik zum EU-Staat trotzdem nicht. Als eine der größten Herausforderungen macht der ehemalige EU-Kommissar Andris Piebalgs den Umgang mit jenen Sowjetbürgerinnen und -bürgern aus, die sich – wie von der Sowjetunion angestrebt – über die Jahrzehnte in Lettland angesiedelt hatten. Nach dem Zerfall der UdSSR waren diese Personen quasi staatenlos, die lettische Staatsbürgerschaft für sie nur schwer zugänglich. Hier eine Lösung zu finden, galt als Voraussetzung, um als Mitgliedstaat akzeptiert zu werden, so Piebalgs. Über die kontroverse Frage wurde in einem Referendum abgestimmt – die Mehrheit der Letten sprach sich für die Änderung aus, so wie einige Jahre später dann auch für den EU-Beitritt. „Das war sehr mutig von den Menschen“, sagt der Verhandler. Die Menschen in Lettland seien damals bereit gewesen, Veränderungen mitzutragen, sagt Piebalgs, „diese Veränderungen schienen nicht so schmerzhaft verglichen mit den Umbrüchen nach der Unabhängigkeit“.

„Bleib eine Demokratie“

Was also können Staaten im Wartezimmer der EU von den Balten lernen? Man müsse bei den Verhandlungen realistisch sein, was das Land liefern könne, sagt Piebalgs, auch müsse möglichst die gesamte Bevölkerung eingebunden werden. „Alles ist schaffbar, wenn ein Land wirklich daran glaubt, dass die EU eine gute Sache ist.“

Wichtig sei es laut Rostoks, den EU-Beitritt kontinuierlich zu verfolgen – anders als eben in Georgien, wo sich pro-russische und pro-europäische Regierungen abwechseln. Abgesehen davon gehe es darum, die Vorgaben aus Brüssel zu akzeptieren: „Tu, was die EU in den Verhandlungen verlangt und bleib eine Demokratie“.

Transparenzhinweis: Dieser Text entstand im Rahmen von „eurotours“, einem Projekt des österreichischen Bundeskanzleramts, finanziert aus Bundesmitteln.