Mopedfahrer in der libanesischen Hauptstadt Beirut stürzten verletzt zu Boden, Verkäufer und Kunden von Geschäften und Supermärkten wurden von Explosionen an ihren Gürteln niedergestreckt, auch der iranische Botschafter im Libanon wurde verletzt: Bei einem Angriff auf Taschen-Piepser und Funkgeräte der Hisbollah-Miliz im Libanon sind am Dienstag mindestens acht Menschen getötet und fast 3000 verletzt worden. Die Hisbollah und die libanesische Regierung gaben Israel die Schuld an der Explosionsserie. Der Nahe Osten befürchtet nun einen neuen Krieg zwischen Israel und der Hisbollah.
Gegen 15.30 Uhr libanesischer Zeit (14.30 Uhr MESZ) explodierten tausende Funkgeräte und Piepser gleichzeitig. Wie die „New York Times“ meldete, war die Hisbollah seit dem Ausbruch des Gaza-Krieges auf Piepser umgestiegen, weil sie befürchtete, dass ihre Handys von Israel abgehört werden.
Geräte wurden heiß
Die neuen Geräte seien von der Hisbollah erst vor kurzem angeschafft worden, meldete die Nachrichtenagentur Reuters. Offenbar waren sie vor der Lieferung an die Miliz mit kleinen Sprengsätzen versehen worden; die Piepser gingen nach Medienberichten nicht nur an Kämpfer, sondern auch an zivile Mitglieder der Hisbollah. Manche Nutzer bemerkten nach Medienberichten kurz vor den Explosionen, dass die Geräte sehr heiß wurden. Die Explosionen wurden zentral per Funk oder mit einem Code ausgelöst.
Was sind Pager genau?
Der libanesische Gesundheitsminister Firas al-Abiad teilte nach einer Meldung der libanesischen Zeitung „L’Orient-Le Jour“ mit, mindestens acht Menschen seien getötet und mehr als 2800 weitere verletzt worden. Viele Opfer seien an Händen, Augen und am Bauch verletzt worden. Unter den Todesopfern waren nach Angaben der Hisbollah mehrere Milizionäre, der Sohn eines Hisbollah-Parlamentsabgeordneten und ein achtjähriges Mädchen. Auch Hisbollah-Mitglieder in der syrischen Hauptstadt Damaskus wurden verletzt.
Die Hisbollah, die mit zehntausenden Kämpfern und hunderttausenden Raketen militärisch stärkste Miliz im Nahen Osten, kündigte Vergeltung gegen Israel an. Auch die libanesische Regierung erklärte, Israel stecke hinter dem Angriff. Israel äußerte sich nicht.
Die vom Iran ausgerüstete Hisbollah liefert sich seit Beginn des Gaza-Krieges im Oktober vereinzelte Gefechte mit Israel entlang der israelisch-libanesischen Grenze, um den Kampf der Hamas gegen Israel in Gaza zu unterstützen; zehntausende Zivilisten beiderseits der Grenze mussten fliehen. Israel hat bei Luftschlägen in den vergangenen Monaten mehrere hochrangige Hisbollah-Funktionäre getötet. Die Kämpfe hatten zuletzt zugenommen.
Zeichen stehen auf Eskalation
„Die Zeichen stehen schon seit einigen Wochen auf einer größeren Eskalation“, sagt Kristof Kleemann, Projektleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung in Jerusalem und früherer Leiter des Büros der Stiftung in Beirut. „Die Hisbollah hat den Beschuss in den letzten Wochen verstärkt und auch immer mehr Ziele in Israel angegriffen, die bislang nicht evakuiert wurden“, sagte Kleemann unserer Zeitung. „Klar ist: Die heutigen Ereignisse haben einen größeren Krieg zwischen Israel und der Hisbollah wahrscheinlicher gemacht.“
Beim letzten Krieg zwischen Israel und der Hisbollah im Jahr 2006 waren israelische Truppen tief in den Libanon vorgestoßen. Viele Libanesen machten damals die Hisbollah für die Verwüstungen durch den Krieg verantwortlich. Seitdem bemühten sich Israel und die Hisbollah, ihre Konfrontation nicht auf ein Maß eskalieren zu lassen, bei dem ein neuer Krieg unausweichlich würde. Die Gefechte der vergangenen Monate und der Angriff vom Dienstag werfen nun die Frage auf, ob die Linie zum Krieg überschritten worden ist.
Vom Mossad unterwandert
Die Hisbollah wurde durch den Piepser-Angriff empfindlich getroffen: Die Explosionen legten einen Teil ihres Kommunikationsnetzes lahm und schränkten damit auch die Möglichkeiten ein, koordinierte Angriffe auf Israel vorzubereiten oder einen israelischen Großangriff abzuwehren. Zudem stellte Israel den Gegner bloß: Die Explosionen zeigten, wie stark die Hisbollah vom israelischen Geheimdienst unterwandert ist.
„Wenn das Israel war, war das eine sehr beeindruckende Geheimdienst-Operation“, kommentierte Heiko Wimmen, Projektleiter Syrien, Irak und Libanon bei der Denkfabrik International Crisis Group. Er glaube allerdings nicht, dass Israel einen Krieg gegen die Hisbollah vom Zaun brechen wolle, sagte Wimmen unserer Zeitung. Denn der jüdische Staat habe mit dem Angriff vom Dienstag einen wichtigen Trumpf aus der Hand gegeben: Kontrolle über die Piepser der Hisbollah-Kämpfer wäre im Kriegsfall ein großer Vorteil für Israel gewesen, sagte Wimmen. „Das gilt ganz offensichtlich jetzt nicht mehr.“ Nun würden alle Hisbollah-Mitglieder ihre Piepser wegwerfen.