Die Ausschusssitzungen laufen schon seit einigen Wochen, heute beginnt für das EU-Parlament aber in Straßburg der Reigen der Plenarsitzungen in der neuen Periode. Zum Auftakt gibt es gleich gröbere Turbulenzen.
Viktor Orbán, seines Zeichens ungarischer Premierminister und EU-Ratsvorsitzender, kommt am Mittwoch in den Plenarsaal. An sich ein normaler Vorgang – die rotierende Ratspräsidentschaft präsentiert den Parlamentariern ihre Schwerpunkte und stellt sich der Debatte. Im Fall Orbáns darf man sich nun aber wilde Kontroversen erwarten; der ungarische Premier, dauerhaft in Konflikt mit Rechtsstaatlichkeit, hat die gesamte EU schon in den ersten Tagen seines temporären Amtes durch nicht abgesprochene Reisen nach Kiew, Moskau, Peking und schließlich einem Treffen mit Donald Trump aufs Ärgste brüskiert. Orbán gilt überdies als Sprachrohr Putins – eine Gemengelage, die für jede Menge Konfliktstoff sorgt.
Slowenien könnte alles verzögern
Doch auch an einer ganz anderen Stelle gehen die Wogen hoch. An sich wollte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schon letzte Woche ihr neues Kommissionsteam und die neuen Ressorts präsentieren, doch im letzten Moment wurde der Termin abgesagt, Nun wackelt auch der neue Termin morgen, Dienstag. Grund für die Turbulenzen war der überraschende Austausch des ursprünglich vorgesehenen slowenischen Kandidaten Tomaž Vesel gegen die Diplomatin Marta Kos. In Slowenien warf die Opposition Regierungschef Robert Golob vor, er sei bloß auf die Forderung von der Leyens eingegangen, aus Gründen der Parität eine Frau statt eines Mannes zu nominieren. Die nötige Bestätigung durch den Parlamentsausschuss am Freitag wurde abgeblasen, nun ist unklar, ob Kos dennoch rechtzeitig nominiert werden kann. Damit ist eine weitere Warteschleife für die neue Kommission möglich. Pikant: Oberster Quertreiber in Slowenien ist die Partei des früheren Regierungschefs Janes Janza. Ein bekennender Leyen-Kritiker und Orbán-Freund, der aber (noch) so wie die Präsidentin zur EVP gehört...
Heftiger Streit um den Vizepräsidenten
Damit nicht genug, ebben auch die Debatten um Raffaele Fitto nicht ab. Der italienische Europaminister, der zu Georgia Melonis postfaschistischer Partei Fratelli gehört, soll Vizepräsident der Kommission werden. Das erregt nicht nur den Unmut der Linksparteien im EU-Parlament (Fitto gehört zur Fraktion EKR, die im Gegensatz zu den neuen „Patrioten“ zunehmend vor die Brandmauer gegen Rechts geholt wird), sondern auch im eigenen Land. Sozialisten, Liberale und Grüne wandten sich gegen die Entsendung. In der EVP selbst sieht man die Personalie gelassen: Er sei ein Brückenbauer und habe auch im EU-Parlament schon seine pro-europäische Gesinnung bewiesen, heißt es dort auf der Führungsebene. Doch der Widerstand gegen den Italiener ist groß, in Brüssel wollen viele nicht verstehen, warum von der Leyen einen Wunsch Melonis erfüllt, wo doch die EKR ihre Präsidentschaft letzten Endes doch nicht unterstützt hat.
Draghis Milliardenplan
Und dann ist da noch Mario Draghi. Der Spitzenpolitiker und frühere EZB-Chef war von der Kommissionspräsidentin mit einem umfassenden Wirtschaftsbericht beauftragt worden, den er morgen im Plenum diskutieren wird. Draghi zeichnete ein ernstes Bild und nannte zahlreiche Fehlentwicklungen beim Namen. Am meisten wurde, wie berichtet, eine seiner zentralen Forderungen diskutiert: Damit sich die europäische Wirtschaft erfangen und neu ausrichten könne, seien gewaltige Investitionen in Nähe von rund 700 bis 800 Milliarden Euro jährlich nötig – die EU könnte dafür weitere Schulden aufnehmen. Viel Zündstoff für das neue Parlament.