Russland und Belarus werden nicht müde zu unterstreichen, dass sie Bruderstaaten seien. Dazu besucht Diktator Alexander Lukaschenko seinen Freund Wladimir Putin mindestens alle zwei Monate in Moskau, Sotschi oder St. Petersburg. Nun aber droht dieser innigen Freundschaft Risse: Denn ausgerechnet Belarus, Putins eifrigster Verbündeter seiner Invasion in die Ukraine, hat in der Nacht zum Donnerstag mindestens zwei russische Shahid 131/136-Drohnen iranischer Bauart abgeschossen. 

Laut dem unabhängigen, belorussischen Militärbeobachter-Portal „Belaruski Hajun“ sind die Drohnen von zwei MIG-29 Kampfjets der belorussischen Streitkräfte im Raum der Großstadt Gomel und bei Choiniki unweit der Tschernobyl-Zone mit Raketen abgeschossen worden. Die Kampfjets waren dafür eigens aus dem Militärflughafen Baranowitschi nahe der polnischen Grenze angeflogen. Sie hatten zuvor die Nordukraine überflogen und waren nach einem Schlenker über Belarus in den Großraum Kiew unterwegs. Die ukrainischen Hauptstadt wurde am Donnerstag wie jüngst wieder fast jeden Tag mehrmals von Russland angegriffen. Insgesamt hatten mindestens acht russische Shahid-Drohnen den belorussischen Luftraum überflogen.

Bisher stellte Belarus den Russen sein Gebiet bereitwillig für Angriffe auf die Ukraine zur Verfügung, auch für die Invasion russischer Bodentruppen im Februar 2022. Dass Belarus nun Drohnen der Armee seines „Brudervolkes“ abschießt, ist neu. Der Abschuss hilft de facto der Ukraine. Denn die Belarus nur überfliegenden russischen Drohnen steuern Ziele wie Munitionsfabriken, Kraftwerke aber auch Schulen und Spitäler in der Ukraine an, die die Russen zerstören wollen.

Offiziell machten Minsk und Moskau am Donnerstag gute Miene zu dem Zwischenfall, der Belarus in direkten Konflikt mit Moskau bringt. Sergej Frolow, Lukaschenkos Generalstabschef, ließ offiziell nur mitteilen, der belorussische Luftraum sei in der Nacht „von unbemannten Flugobjekten“ verletzt worden. Das Verteidigungsministerium in Moskau ließ wissen, „Abklärungen seien im Gange“. 

Minsk und Moskau taten so, als wisse niemand, wem die Shahid 131/136-Drohnen gehörten. Hinter den Kulissen ist jedoch klar, dass der gewiefte und isolierte belorussische Diktator Lukaschenko offenbar wieder einmal ein eigenes Spiel begonnen hat. Im Gegensatz zu Moskau unterhält Minsk nach wie vor diplomatische wie wohl auch geheimdienstliche Kontakte zu Kiew. Lukaschenko lässt manchmal Truppen an seine über 1000 Kilometer lange Grenze zur Ukraine verlegen, um Putin zu gefallen. Doch immer wieder zieht er diese wieder ab, weil von der Ukraine angeblich keine Gefahr mehr für sein Land ausgehe. Gerade finden Manöver im Südosten von Belarus, rund 250 Kilometer von der seit vier Wochen teils von den Ukrainern besetzten russischen Oblast Kursk, statt. Dies hilft Putin; doch gleichzeitig werden russische Drohnen abgeschossen. 

Annäherung an den Westen?

Lukaschenko sondiert damit Möglichkeiten einer erneuten Annäherung an den Westen. Bis zum Volksaufstand der Opposition vor vier Jahren hat der Diktator mit einer Schaukelpolitik zwischen Ost und West gute Erfahrungen gemacht. Seit vier Jahren ist er auf Gedeih und Verderb Putin ausgeliefert, der im Herbst 2020 seinen Machterhalt sicherte. Neben dem militärischen Schlag gegen Moskau hat der Diktator einen Tag zuvor auch eine neue Finte probiert: Lukaschenko begnadigte 30 politische Häftlinge, Eltern von Kleinkindern, wie das Präsidialamt in Minsk mitteilte. Auch mit dieser Amnestie, die bisher insgesamt 78 von aktuell mindestens 1373 politischen Häftlingen umfasst, will er den Westen ködern.

In Kiew hat das Parlament am Donnerstag den beliebten, aber auch eigenwilligen Außenminister Dmytro Kuleba durch den langjährigen Botschafter in der Türkei, Andrii Sybiha, ersetzt. Sybiha leitete zuletzt das Büro für Auslandsbeziehungen im Präsidialamt. Durch diese Ernennung wird die Kontrolle Wolodymyr Selenskis über die ukrainische Regierung weiter verfestigt.