Das klang neu. „Wir hoffen sehr, dass wir am Ende mit der CDU eine gute Regierung zustande bekommen“, sagt Sahra Wagenknecht. So ließ sich das von ihr noch nicht vernehmen. Als Mitglied der kommunistischen Plattform in der damaligen Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) galt Wagenknecht nach der Wende jede Regierungsbeteiligung als Einschwenken auf einen reformistischen Weg. Etliche politische Häutungen später erklärt sie am Montag als Chefin des nach ihr benannten Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) nach den Erfolgen ihrer Bewegung bei den Wahlen in Sachsen und Thüringen: „Die Menschen wünschen eine stabile Regierung. Vor allem aber eine Regierung, die ihre Interessen vertritt.“ Kein Zweifel: Sahra Wagenknecht, ewige Außenseiterin, ist angekommen im Zentrum der Macht.

Zwölf Prozent holte das BSW in Sachsen, sechzehn Prozent gewann die Bewegung in Thüringen. Wagenknecht ist umworben. Ohne sie geht’s nicht mehr in den beiden Ländern. Und so sagt die heimliche Wahlsiegerin: „Was die Menschen nicht wollen, ist eine Regierung, von der sie sagen, dass sie enttäuscht sind.“ Die Negation der Negation, das ist Wagenknechts Methode.

Erst voriges Jahr hatte sie nach quälend langem Streit die Linke verlassen. Im Jänner gründete sie ihre eigene Bewegung: das Bündnis Sahra Wagenknecht. Wagenknecht, 55, hat einen langen Weg hinter sich. Früher sprach sie über Produktivkräfte und Profitrate. Dann hörte sich das so an: „Es ist eine irrige Vorstellung, dass der Kapitalismus an abstrakten Gesetzmäßigkeiten scheitert. Er muss durch zielgerichtetes Handeln von Mehrheiten überwunden werden.“ Heute klingt das zielgerichtete Handeln bodenständiger: „Wir sprechen über Landespolitik: über Schulpolitik, über Bürokratie, über den ländlichen Raum, wo kein Bus mehr fährt, keine Landarztpraxis mehr da ist.“ Schluss mit Überbau, ran an die Basis.

Wagenknecht ist links oben gestartet und rechts unten gelandet. Ihre Masterarbeit schreibt sie in Philosophie zum Thema „Vom Kopf auf die Füße? Zur Hegel-Kritik des jungen Karl Marx.“ Der Titel ist vorsorglich als Frage formuliert. Es sollte sich zeigen warum: Die klassisch linke Konfliktlinie von Arbeit gegen Kapital – sprich oben gegen unten – ergänzt sie durch die Verwerfungslinie von innen gegen außen. Migranten lasten dann genauso auf den Steuergeldern wie Hilfen für die Ukraine. Das rückt ihre Bewegung nah an die AfD. Unter autoritär-populistischen Parteien fasst die Forschung beide Gruppierungen zusammen.

Begnadete Rednerin, begnadete Vereinfacherin

Wagenknecht ist eine begnadete Rednerin. Und eine begnadete Vereinfacherin. „Die Triggerpartei“ nennt der Soziologe Oliver Nachtwey in einem glänzenden Essay in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ ihre Bewegung und bilanziert: „Auch wenn es einem nicht passt, ihr Erfolg ist große machiavellistische Kunst. Wagenknecht ist die verkörperte Projektion der verbreiteten Anti-Establishment-Gefühle.“

Auf Kompromiss geht sie nie

„Was der AfD am meisten hilft, sind schlechte Regierungen“, sagt Wagenknecht am Montag auf einer Pressekonferenz. Neben ihr sitzen Sabine Zimmermann und Katja Wolf, die Wahlsiegerinnen aus Sachsen und Thüringen. Doch die meisten Fragen gehen an Wagenknecht. Sie ist nun mal das Gesicht der Bewegung. Und so kommt Wagenknecht mühelos von mehr Lehrern und Polizisten zur Ukraine. „Auch ein Thema, das die Menschen bewegt, ist die Frage von Krieg und Frieden“, so die Frontfrau. Die Union hatte gehofft, das lästige Thema vielleicht in der Präambel zum Koalitionsvertrag zu verstecken. Aber nicht mit Wagenknecht. „Der Bundesrat hat einen Auswärtigen Ausschuss. Es ist verfassungsrechtlich vorgesehen, dass die Länder sich außenpolitisch äußern“, betont sie. Wagenknecht geht nie auf Kompromiss, sondern immer aufs Ganze. Eine ewige Systemsprengerin. Das teilt sie mit ihrem Mann Oskar Lafontaine, erst Chef der SPD, dann der Linken.

Personenkult

Scheitern aber nicht ausgeschlossen. Katja Wolf bedankt sich am Montag bei „Sahra Wagenknecht, die mit großem Engagement die Termine in Thüringen wahrgenommen hat“. Eine spitze Bemerkung. Wagenknecht gilt als Frau für die großen Linien, nicht fürs Kleingedruckte. Schon stört manche der Personenkult. „Ich will kein Bild meines Parteichefs in meinem Arbeitszimmer“, distanzierte sich Wolf schon diskret vor der Wahl. Da schlummert ein Konflikt.

Nach dem schnellen Erfolg ist am Montag erstmals so etwas wie Druck zu spüren. „Es ist natürlich eine große Verantwortung. Die Menschen setzen große Hoffnungen und Erwartungen in uns“, sagt Wagenknecht. Das klingt schon fast nach bitterer Ahnung. Doch bald fängt sich die Politikerin der Stunde wieder mit Blick auf die Ampel und den Zustand der Bundesregierung. Es geht um das große Ziel, die Bundestagswahl. „Im nächsten Jahr. Wenn die Ampel das schafft.“ Das klingt so gar nicht nach politischem Startup und Aufbruch. Es bleibt das Gefühl: Sahra Wagenknecht treibt eine stille Lust am Untergang.