Hin und wieder sorgen Bomben aus dem Zweiten Weltkrieg in Großbritannien für Panik – das ist nichts Neues. Erst vor wenigen Tagen war der Kampfmittelräumdienst im nordirischen Newtownards im Einsatz. Auf einer Baustelle hatte man eine 500 Kilo schwere Bombe entdeckt; die Behörden konnten die Situation durch eine kontrollierte Explosion recht schnell entschärfen.

Eine weit größere Gefahr jedoch lauert in der Themsemündung vor den Toren Londons. Hier liegt seit 80 Jahren ein versunkenes Frachtschiff, beladen mit 1400 Tonnen Sprengstoff. Würde die Ladung explodieren, könnte dies größere Verheerungen an der Küste anrichten – im Extremfall würde eine Flutwelle in Richtung Hauptstadt rollen. Seit Jahren will man die Sicherheitsvorkehrungen rund ums Wrack verbessern, um eine Detonation zu verhindern. Aber die Arbeiten sind immer wieder aufgeschoben worden. Die Zeit drängt, denn das Schiff beginnt langsam zu bröckeln.

In zwei Hälften gebrochen

Die „SS Richard Montgomery“, ein US-Frachtschiff, legte im August 1944 von Florida in Richtung Europa ab, beladen mit rund 7000 Tonnen Munition. Nach einem Zwischenstopp in England sollte sie weiter nach Frankreich fahren. Aber als das Schiff in der Themsemündung ankern wollte, lief es vor der Küste von Sheerness auf Grund. In den folgenden Tagen konnte der Großteil der Ladung an Land gebracht werden. Aber bald brach das Schiff in zwei Hälften und sank auf den Grund. Die Bergungsarbeiten wurden abgebrochen, 1400 Tonnen Munition blieben an Bord.

„Kleiner Tsunami“

So liegt die „SS Richard Montgomery“ noch heute vor der Küste, rund fünfzehn Meter unter Wasser, nur die drei Masten ragen aus dem Meer. Es ist ein Sperrgebiet, markiert durch Bojen, und wird rund um die Uhr überwacht. Dennoch bleibt ein Restrisiko. Professor David Alexander vom University College London, ein Experte für Katastrophenschutz, der sich eingehend mit dem Wrack beschäftigt hat, warnte schon vor zwei Jahren: „Im schlimmsten Fall würde alles in die Luft fliegen, es gäbe einen riesigen Knall, eine Wassersäule, fliegende Trümmerteile.“ Man müsse im Extremfall mit einem „kleineren Tsunami“ rechnen.

Die Behörden haben in den vergangenen Jahren nach Wegen gesucht, das Risiko einer Explosion zu verringern. Etwa, indem die drei Masten abgenommen werden. Denn wenn sie abbrechen würden, könnten sie auf die Ladung fallen und eine Explosion auslösen, so warnte das britische Verteidigungsministerium. Eigentlich hätten die Masten bereits 2022 abmontiert werden sollen, aber die Arbeiten verzögerten sich. Im Dezember 2023 kam eine neue Untersuchung zum Schluss, dass sich der Zustand der Masten weiter verschlechtert habe.

Schiffe mit Flüssiggas

Aber jetzt geht Experte Alexander davon aus, dass die Demontage der Masten nicht ausreichen werde. „Ich glaube nicht, dass es das Problem beseitigen wird“, sagte er kürzlich gegenüber britischen Medien. „Das größte Risiko besteht darin, dass ein Schiff mit dem Wrack kollidieren wird.“ Die „SS Richard Montgomery“ liegt zwar in einem Sperrgebiet, aber dennoch ist es gefährlich nah an den Schifffahrtsstraßen nach London. „Hier fahren große Containerschiffe und Schiffe mit Flüssiggas“, sagte Alexander. In der Vergangenheit ist es schon vorgekommen, dass Schiffe haarscharf am Wrack vorbeigefahren sind. Alexander hält es für sinnvoll, den Sprengstoff zu bergen. Andere Experten stimmen zu: „Das Wrack fällt auseinander, wie alle Wracks, und die Munition fällt heraus“, sagt auch David Welch, ehemaliger Korvettenkapitän bei der Navy und nun Chef einer Bombenräumungsfirma. „Im Lauf der Zeit wird es schlimmer werden, und dann hat man ein ganzes Gebiet, auf dem Sprengkörper verteilt liegen.“