Was tat Kamala Harris gerade, als Joe Biden bei ihr anrief, um ihr mitzuteilen, dass er abtreten würde? Sie freute sich über ihren all-amerikanischen Morgen. „Ich saß beim Frühstück mit meiner Familie, meine Großnichten waren auch da und eine davon fragte, ob sie mehr Bacon haben kann?“ Ja, natürlich! Dann klingelte das Telefon und Biden ließ sie wissen, dass er ihr den Vortritt lassen würde. Hat sie Biden gefragt, ob er sie unterstützen würde, will CNN-Reporterin Dana Bash wissen. „Er hat es von sich aus angeboten“, sagt Harris. Und sie habe auch gar nicht daran oder an sich gedacht, sondern nur an ihn, den Präsidenten, den sie bewundere und schätze.
Erstes großes Interview
Kamala Harris, die Präsidentschaftskandidatin der Demokraten stellte sich ihrem ersten Interview nach fast sechs Wochen, in denen sie den Medien aus dem Weg ging. Am Mittwochabend strahlte CNN 27 Minuten aus einem Gespräch aus, das die Kandidatin mit Dana Bash geführt hatte und das vorher aufgezeichnet wurde. Ihr potenzieller Vize Tim Walz saß neben ihr im Studio in Savannah, Georgia, einer der knappen Staaten, den Trump gewinnen könnte. Das Fernsehen zeigte eine nette, mütterliche Harris, die viel lachte, und sich als Kandidatin der Mitte gab, gegen den radikalen, zerstörerischen Donald Trump. Sie zeigte sich sogar bereit, einem Republikaner einen Kabinettsposten anzubieten.
Sie sei stolz, mit Biden gedient zu haben, betonte Harris, der ein „erfolgreicher, selbstloser Charakter“ sei. Wie Biden, liebe sie das amerikanische Volk. Sie werde die Seite für ein neues Kapitel umschlagen, dabei aber Bidens Politik fortsetzen. Und sie propagiere – sagte sie als Seitenhieb auf Trump – eine neue Idee von Stärke. Stärke nicht definiert dadurch, wen man niederschlage, sondern wen man aufbaue. Wusste sie, dass Biden schon so altersschwach war? Der Frage weicht sie aus.
Es war ein sanftes Interview. Harris präsentierte sich als nette, normale Amerikanerin von nebenan, nicht als die schwarze Radikallinke aus San Francisco, als die Trump sie darstellt. Ja, sie kandidiert als die erste schwarze Frau in den USA, aber das will sie nicht zum Thema machen. Trump hat sie neulich attackiert; er sagte, dass die – sehr hellhäutige – Harris ihr Schwarzsein erst entdeckt habe, als sie Präsidentin werden wollte. Von Bash dazu befragt, sagte sie nur: „Die nächste Frage bitte.“
Wenig Neues, viel Bekanntes
Inhaltlich sagte sie wenig Neues über das hinaus, was sie schon im Wahlkampf verkündet hat, oder aber in ihrer Rede auf dem Parteitag: Die Wirtschaft sei das Wichtigste, die Preise seien zu hoch, es müsse Steuernachlässe für Kinder geben und Hilfen für den Kauf von Häusern – wie zuvor, versprach sie dafür 25.000 Dollar für junge Familien. Die Regierung müsse in kleine Betriebe investieren.
Warum haben sie und Biden das nicht schon in der vergangenen Legislaturperiode gemacht? „Nachdem Trump in der Coronakrise die Wirtschaft an die Wand gefahren hat, mussten wir die erst einmal wieder aufbauen und die Inflation auf drei Prozent senken“. Die Inflationsrate bei Bidens Amtsübernahme lag leicht über ein Prozent – Trump verlor keine Zeit, das zu twittern – andererseits waren dies die Corona-Jahre, deren Daten in vieler Hinsicht von der Normalität abwichen.
Befragt zu Israel, sagte sie exakt das Wortgleiche wie beim Parteitag: Sie stehe fest hinter Israel und werde Waffenlieferungen nicht unterbrechen, man dürfe den Horror des 7. Oktober mit den vielen Toten nicht vergessen. Man brauche aber eine Waffenstillstandsvereinbarung, damit die Israelis Sicherheit hätten und die Palästinenser in ihrem Staat in Würde leben könnten. Wie das zu erreichen sei, da fragte auch CNN nicht nach, und sie weiß es wohl selber nicht.
Auch an anderen Problemthemen segelte das Interview vorbei. Was hält sie von Fracking, der umstrittenen Art, Erdgas zu gewinnen? „Wie schon 2020 versichere ich, mit mir wird es keinen Bann für Fracking geben“, sagte sie. „Ich stehe zu meinem Wort.“ Das hat sie zwar versichert, das war aber die Position von Biden. 2019, als sie noch selbst kandidierte, sagte sie: „Es ist keine Frage, dass ich Fracking bannen will.“
Harris weicht Fragen aus
Aber wer denkt, Harris weicht Fragen aus, hat Tim Walz nicht gesehen. Die Republikaner, und besonders Trump beschuldigen Walz, er habe fälschlich behauptet, er sei im Krieg gewesen – Walz war zwar bei der Nationalgarde, aber nie im Kriegseinsatz. Das hat der Gouverneur von Minnesota bei einer Veranstaltung auch tatsächlich gesagt, allerdings nur als Nebenbemerkung in einer Rede, in der es darum ging, dass Kriegswaffen nicht in die Hände amerikanischer Zivilisten gehören, insbesondere, nachdem jedes Jahr dutzende von Schulkindern erschossen werden.
Damit von Dana Bash konfrontiert, sagte er, er spreche die Sprache der normalen Leute, deswegen sei er beliebt. Er würde nie schlecht über einen anderen Soldaten reden. Als Harris nachhakte, räumte er ein, seine „Grammatik sei nicht immer korrekt“. Auch einer Frage nach einem – allerdings dreißig Jahre zurückliegenden – Verkehrsverstoß mit Alkohol im Spiel wich er aus.
JD Vance hat niedrige Beliebtheitswerte
Seit Biden von der Bildfläche verschwunden ist, macht sich Trump Sorgen, zumal sein Vize JD Vance kein glückliches Händchen mit öffentlichen Auftritten hat – er wurde gestern in Boston von Feuerwehrleuten ausgebuht. Trump selber hat Ärger, weil er den Soldatenfriedhof in Arlington für ein Wahlkampf-Werbevideo nutzte, was verboten ist. Gestern bombardierte er seine Fans mit minütlichen Nachrichten, wie sehr Harris versagt habe, die Grenze zu sichern, und dass sie Amnesty für Millionen von Illegalen wolle. Sie wolle illegale Grenzübertritte entkriminalisieren. Er könne sich nicht vorstellen, wie sie mit Diktatoren in China und Nordkorea verhandele.
Vance geht derweil auf Tour: Am Freitag wird er auf CNN auftreten, und kann die Wähler überzeugen, dass er normal ist. Am 10. September werden dann Trump und Harris aufeinandertreffen, voraussichtlich beim Sender ABC. Über die Details wird noch verhandelt. Nur eins ist klar: Eine hohe Sehbeteiligung ist gewiss.