Sein Image als unangepasster Rebell kultiviert Pawel Durow schon seit Jahren. Als ein Moskauer Gericht im Jahr 2018 die Schließung von Telegram anordnet und die Behörden versuchen, den von Durow gegründeten Messengerdienst mit der Sperre von Millionen IP-Adressen lahmzulegen, startet der damals 33-Jährige ein regelrechtes Katz-und-Maus-Spiel. Telegram wechselt von einem im Ausland beheimateten Server zum nächsten, um sich dem Zugriff zu entziehen, während Durow gleichzeitig auf seinem Instagram-Konto Stimmung in eigener Sache macht. Auf der Fotoplattform veröffentlicht der russische Internet-Unternehmer ein Bild aus dem Film „Brave­heart“, das Mel Gibson als schottischen Widerstandskämpfer zeigt. „Sie können unsere IP-Adressen nehmen, aber niemals unsere Freiheit“ steht daneben geschrieben.

Sechs Jahre später ist es einmal mehr Durows kompromisslose Vorstellung davon, was Redefreiheit ausmacht, die ihn in Schwierigkeiten bringt. Am vergangenen Samstag wird Durow kurz nach der Landung seines Privatjets in Paris festgenommen, der Milliardär, der auch die französische Staatsbürgerschaft besitzt, muss bis Mittwoch in Untersuchungshaft bleiben. Schließlich wird in mehreren Punkten Anklage erhoben, Durow kommt gegen Kaution frei, muss sich aber regelmäßig bei der Polizei melden. Laut der Staatsanwaltschaft geht es vor allem darum, dass Telegram zu wenig unternommen habe, um Straftaten auf seiner Plattform zu unterbinden – angefangen von der Geldwäsche bis hin zum Drogenhandel und der Verbreitung von Kinderpornografie. Das Unternehmen, das formal seinen Hauptsitz in Dubai hat, beteuert dagegen, sich an alle gesetzlichen Vorgaben zu halten.

„Kein einziges Byte herausgegeben“

Regierungen, Sicherheitsbehörden und Geheimdiensten ist die mittlerweile knapp eine Milliarde Nutzer zählende Chat-App mit dem Papierfliegerlogo vor allem deshalb ein Dorn im Auge, weil Telegram so gut wie jede Kooperation verweigert. Durow selbst rühmt sich immer wieder damit, seit der Gründung des Messengerdiensts im Jahr 2013 noch kein „einziges Byte“ an Nutzerdaten an staatliche Stellen herausgegeben zu haben.

Laut der „New York Times“ haben 31 Staaten Telegram daher entweder dauerhaft oder zeitlich befristet verboten. Vor allem autoritäre Regime wie Russland, der Iran und China sehen in der App eine Bedrohung, weil die Plattform nicht nur ein Schlupfloch für unzensierte Informationen darstellt, sondern es auch Oppositionellen erlaubt, sich auf sicherem Weg auszutauschen und zu organisieren.

Wladimir Putins Russland verlässt Durow auch schon zeitig. Nachdem sich junge Russen auf V-Kontakte, einem ebenfalls von ihm gegründeten Facebook-Klon, zu Protesten gegen den russischen Präsidenten verabreden, bekommt er Besuch von bewaffneten Geheimdienstleuten. Bevor er 2014 das Land verlässt, verkauft Durow seine verbliebenen V-Kontakte-Anteile an einen Putin-Gefolgsmann.

Angesichts der Vorgeschichte ist Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nach Durows Festnahme auch sichtlich darum bemüht, den Eindruck zu zerstreuen, die Verhaftung sei politisch motiviert gewesen. Freunde hat sich Durow, der laut früheren Mitarbeitern die meiste Zeit als globaler Nomade mit nicht viel mehr als einem Computer und ein paar Handys im Gepäck lebt, aber auch in den westlichen Demokratien nicht gemacht. Denn die ebenfalls auf Telegram zu findenden Gruppen, die bis zu 200.000 Mitglieder zählen, sind aufgrund der so gut wie nicht vorhandenen Inhaltsmoderation zu einem Refugium für Extremisten unterschiedlichster Art geworden. Hier tummeln sich raunende Verschwörungstheoretiker ebenso wie gewaltbereite Rechtsextremisten, es gibt islamistische Terrorverherrlichung und Desinformationskampagnen gegen den Westen.

Telegram prägt den Blick auf den Ukraine-Krieg

Nach der Corona-Pandemie kursiert auf Telegram derzeit vor allem Propagandamaterial zum Ukrainekrieg. „Telegram ist der Distributionskanal Nummer eins für erfundene Geschichten und Desinformation“, sagt der Wiener Desinformationsspezialist Dietmar Pichler zur Kleinen Zeitung. „Vieles von dem, das später auf anderen Social-Media-Plattformen auftaucht oder sogar seinen Weg in Fernseh-Talkshows findet, hat seinen Ursprung auf Telegram.“ Wie man im Westen auf den Krieg blickt, wird also in einem nicht unerheblichen Maß durch Durows Messenger geprägt.

Entsprechend positioniert sich auch der Kreml schon. Seit Durows Verhaftung versuchen russische Offizielle, Durow als neuen Julian Assange darzustellen, den der Westen einzuschüchtern versucht.