Eine gewisse Unruhe wabert durch Deutschland. Davon profitiert auch Sahra Wagenknecht, die Gründerin des nach ihr benannten Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Zuletzt stand sie in Eisenach auf der Bühne. Zu DDR-Zeiten wurde dort der Wartburg gebaut, seit der Wende rollen Opel vom Band. Oben auf der Wartburg aber übersetzte Martin Luther vor fünf Jahrhunderten die Bibel und legte so den Keim eines deutschen Sonderwegs. „Wir brauchen zwar heute keine religiöse Reformation, aber eine Reform der Politik“, sagte Wagenknecht an historischem Ort. Schon titelte die „Bild“: „Wagenknecht vergleicht sich mit Luther“. Rollt die nächste Rebellion?

Die Lage ist angespannt vor den Wahlen in den ostdeutschen Bundesländern Thüringen und Sachsen am Sonntag. Erst recht nach den tödlichen Messerattacken von Solingen. Der thüringische AfD-Mann Björn Höcke forderte schon mal, die „verantwortlichen Kartellparteien in die Wüste zu schicken“. Wagenknecht sekundierte: „Wer unkontrollierte Migration zulässt, bekommt unkontrollierbare Gewalt.“ Auch die Union verschärfte den Ton. CDU-Chef Friedrich Merz erklärte: „Es reicht. Wir müssen jetzt gemeinsam was tun.“ Kanzler Olaf Scholz, der in den vergangenen Tagen in die Defensive geraten ist, reagierte schließlich zusammen mit dem Ampel-Partner mit einem Maßnahmenpaket. So soll es nun ein erweitertes Messerverbot, den Entzug von Sozialleistungen und die Aberkennung des Schutzstatus geben, wenn Flüchtlinge in ihre Herkunftsländer reisen. Die neue Lage: Solingen überschattet den Wahlkampf-Endspurt.

AfD in Thüringen mit 30 Prozent in Front

In Thüringen liegt die AfD in Umfragen bei 30 Prozent, das BSW kommt auf knapp 17. Daneben ist die demokratische Mitte erschreckend schwach: Die CDU liegt bei 23 Prozent, die Linke von Ministerpräsident Bodo Ramelow bei 13 Prozent. SPD und Grünen droht ein Abschied aus dem Landtag.

In Sachsen durchpflügt CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer schon seit mehreren Wochen das ganze Land. Selbst auf Biker-Treffen taucht er auf. Kretschmer ist strikt bei der Migration. Und für weniger Waffen für die Ukraine. Den Bikern rät er mit Blick auf die AfD ganz direkt: „Halten Sie sich von denen fern.“ Seine Begründung: „Weil dort ein großer Teil von Menschen tätig ist, die die freiheitliche-demokratische Grundordnung abschaffen wollen.“

Kretschmers Worte verfangen nicht. In Umfragen liegt die CDU in Sachsen mit gut 30 Prozent hauchdünn vor der AfD, das BSW kommt auf 14 Prozent, SPD und Grüne müssen um den Verbleib im Landtag zittern, die Linke scheint sicher draußen. Es hat sich viel gewandelt. Nicht erst seit Solingen.

Annäherung an Wagenknecht

An der Stimmung im Osten ändert auch der wirtschaftliche Aufschwung wenig. „Chip, Chip, Hurra!“, sagt Kretschmer gern. Gut hunderttausend Jobs in der Chip-Fertigung sind im einstigen Robotron-Zentrum der DDR seit der Wende entstanden (siehe Artikel rechts). Doch an der Wahlurne schlägt der Boom nicht in Stimmen durch. Zumindest auf Landesebene wird man sich in Deutschland daher wohl an Minderheitsregierungen gewöhnen müssen. Für die Union stehen zudem neue Bündnisse an, eventuell sogar mit dem BSW. In Thüringen setzte sich CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt bereits vorsorglich leicht von der Ukraine ab. Außenbeziehungen haben auf Landesebene zwar wenig verloren. Für Deutschlands Partner in der EU und der Nato heißt es dennoch: Die Außenpolitik des Landes wird (noch) volatiler. 

Auch im Bund zeigen die Wahlen Folgen: Die Fliehkräfte in der Ampel wachsen – selbst wenn SPD, FDP und Grüne jetzt in der Migrationspolitik doch gemeinsam nachsteuern. Selbst Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) sagte: „Beim Angriff auf Leben und Freiheit darf es keine Toleranz geben.“ Doch bei aller aufgeregten Debatte bleibt: Weder Friedrich Merz noch Markus Söder werden mit der Bürde einer Anbandelung nach rechts als Kanzlerkandidat in einen Wahlkampf im Bund ziehen wollen. Nicht nur Sachsen und Thüringen stehen im Fokus. Im Schatten von Solingen geht es um die künftige Richtung im gesamten Land.