Bodo Ramelow fasst die politische Lage so zusammen. „Manchmal träume ich davon, dass man verlässliche Mehrheiten hätte, mit denen man vorher diskutiert, um zu einem stabilen Ergebnis zu kommen“, so Thüringens Ministerpräsident bei seiner Sommertour. Seit 2014 regiert der Linken-Politiker das ostdeutsche Land. Bis auf wenige Tage im Frühjahr 2020, als sich FDP-Mann Thomas Kemmerich mit AfD-Stimmen zum Kurzzeit-Regierungschef wählen ließ. Ramelow sorgt sich nun um Zeiten, „wenn die politischen Konstellationen nicht mehr ganz so einfach sind“. Das scheint nicht allzu weit entfernt. 

Sachsen, Thüringen und Brandenburg wählt

Denn ganz so einfach ist derzeit nichts in Deutschlands Osten. Im September wird in Thüringen, Sachsen und Brandenburg gewählt. Nach Umfragen vom Wochenende liegt in Thüringen die AfD von Björn Höcke bei dreißig Prozent, dahinter pendeln CDU und Sahra Wagenknechts BSW bei zwanzig Prozent, Ramelow und die Linke kommen auf fünfzehn Prozent, die Koalitionspartner SPD und Grüne müssen um den Einzug ins Parlament fürchten. In Sachsen – regiert von CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer – sieht es nicht viel besser aus. Dort liegt die Union mit gut dreißig Prozent knapp vor der AfD, das BSW kommt auf elf Prozent, SPD und Grüne pendeln bei fünf Prozent, die Linke leicht drunter. „Bei den anstehenden Wahlen in Ostdeutschland wird die AfD der Macht so nahe kommen wie noch nie“, warnt Soziologe Steffen Mau von der Berliner Humboldt-Universität in seinem neuen Spiegel-Bestseller „Ungleich vereint“. Es droht eine Protestwahl. Und Erschütterungen auch im Bund.

SPD-Chefin Saskia Esken zeigt sich schon offen für Bündnisse mit dem BSW. Auch die Union wird nervös. Und sucht nach neuen Mehrheiten. CDU-Chef Friedrich Merz hält offiziell am Unvereinbarkeitsbeschluss seiner Partei mit der als rechtsextrem eingestuften AfD fest. Für Wagenknechts BSW, für das es ein Parteivotum nicht gibt, zeigt er sich offener. Man müsse „im Lichte der Wahlergebnisse sehen, welche Regierungsfähigkeiten denkbar und möglich sind“, so Merz. Katja Wolf, einst für die Linke Oberbürgermeisterin der Autobauerstadt Eisenach und jetzt in Thüringen BSW-Spitzenkandidatin, sagt zu Regierungsämtern nur: „Eine Verantwortung, die ich nicht scheue.“

Auf Länderebene „geht es nicht um die Bundeswehr“, versucht Merz seine Lockerungsübung herunterzuspielen. Doch so einfach ist es nicht. Wagenknecht stellt umgehend Bedingungen. „Wir werden uns nur an einer Landesregierung beteiligen, die auch bundespolitisch klar Position für Diplomatie und gegen Kriegsvorbereitung bezieht“, sagt die BSW-Chefin mit Blick auf die Ukraine. Und erntet für die Verkennung von Ursache und Wirkung Kritik aus den Reihen ehemaliger DDR-Bürgerrechtler.

Für Putins Russland

Verkehrte Welt. Doch in der ostdeutschen CDU spüren sie die russophile Stimmung an den Infoständen. Die DDR hallt nach. Forscher Mau, im ostdeutschen Rostock geboren und einer der einflussreichsten Soziologen im geeinten Land, spricht von „kulturellen Eigenlogiken“ im Osten. Das umfasst (nach dem massiven Wegzug nach der Wende) nicht nur eine überalterte, männlich dominierte Gesellschaft und ein stärkeres Land-Stadt-Gefälle als im Westen. Es schlägt sich auch in politischen Einstellungen nieder. Gegenüber Religion (negativ), gegenüber den USA (negativ) und gegenüber Russland (positiv).

Der Osten als Sonderpolitikzone. Auch das macht die Wahlen im September so spannend. Doch geht’s um mehr als eine Protestwahl im Osten. Die Auswirkungen sind bis in den Bund zu spüren – wie nicht nur die Debatte über die Ukraine belegt. Die Kanzlerkandidatenfrage in der Union wird erst nach den Landtagswahlen im Osten entschieden. Und das erwartbar schwache Abschneiden der Ampel-Parteien macht das Regieren für Kanzler Olaf Scholz nicht einfacher. Für die Linke, einst Regionalpartei Ost, geht’s gar um die bundesweite Existenz.