Ein Schild sorgt bei Besuchern des europäischen Hauptsitzes der Vereinten Nationen in Genf für Erstaunen. „Diese Rolltreppe ist außer Betrieb“, ist dort zu lesen. „Wir entschuldigen uns für die Unannehmlichkeit.“ Die stillgelegte Rolltreppe frisst in großem Maße Energie – deshalb landete das metallene Relikt aus den Siebzigerjahren auf der Streichliste der notorisch klammen Vereinten Nationen. Im Völkerbundpalast, ihrem Sitz in Genf, spart die UNO an allen Ecken und Enden: Auch andere Rolltreppen sind außer Betrieb, die Bibliothek schränkt ihre Öffnungszeiten ein, die regelmäßige Wartung der Gebäude und der Ausrüstungen, etwa Mikrofonanlagen, wurde heruntergefahren, Klimaanlagen und Heizungen laufen nur begrenzt. Die UNO stellt praktisch niemanden mehr ein und zur Jahreswende schloss das Palais wochenlang seine Tore. „Die finanziellen Einschnitte bei den Vereinten Nationen in Genf sind tief und hart“, sagt der brasilianische UN-Experte und Autor Jamil Chade. „Ich berichte seit einem Vierteljahrhundert aus Genf über die UNO, aber solche Einsparungen habe ich noch nie erlebt.“
Guterres kündigte aggressive Kosteneinsparungen an
Auch in anderen Einrichtungen müssen die Vereinten Nationen den Rotstift ansetzen. So müssen Beamte des New Yorker UN-Sekretariats auf Reisen verzichten, Käufe von neuen Möbeln oder Computern werden auf die lange Bank geschoben. „Wir werden diese Maßnahmen so lange wie nötig beibehalten“, erklärt Alessandra Vellucci, die Informationsdirektorin der UNO in Genf. Denn die Weltorganisation befindet sich in einer „ausgewachsenen Liquiditätskrise“, wie UN-Generalsekretär António Guterres Anfang des Jahres in einem Brief an die Botschafter der 193 Mitgliedsländer offenlegte. „Deswegen bin ich gezwungen, aggressive Kosteneinsparungen vorzunehmen“, kündigte er an. Insgesamt, so kalkuliert Guterres, müssen die UN die Ausgaben 2024 um 350 Millionen US-Dollar senken. Das entspricht rund zehn Prozent des UN-Budgets für das laufende Jahr in Höhe von fast 3,6 Milliarden US-Dollar.
Guterres verschreibt die Rosskur ausgerechnet in einer Zeit von Krisen und Kriegen, in der viele Menschen auf der Welt die Dienste und Hilfen der Vereinten Nationen dringend benötigen. Hart getroffen ist etwa das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte, die zentrale Behörde gegen Folter, Unterdrückung und Willkür. Wegen der Liquiditätskrise fehlen dem Kommissariat im laufenden Jahr Dutzende Millionen US-Dollar. „Untersuchungskommissionen, die als Reaktion auf massenhafte Gräueltaten im Sudan, in Myanmar, Syrien, der Ukraine oder im Iran eingesetzt wurden, sind durch Kürzungen stark beeinträchtigt“, warnt die Menschenrechtsorganisation International Service for Human Rights.
Ebenfalls muss die UNO bei der Nothilfe sparen, auch wenn die Anschaffung und die Verteilung von Lebensmitteln, Medizin und anderen humanitären Gütern für die Millionen Opfer von Kriegen vorwiegend über jährliche Hilfsappelle der UN an die Mitgliedsländer finanziert werden.
Zahlungsunwillige Mitglieder
Die Hauptursache für die knappen Kassen überrascht nicht wirklich: Viele Regierungen, die selbst in Schwierigkeiten stecken, haben kein Geld für die UN übrig, manche Staaten wollen auch nicht so viel bezahlen wie vorgesehen. „Nicht alle Mitgliedstaaten begleichen ihre Beiträge in voller Höhe“, betont Generalsekretär Guterres. Im Jahr 2023 nahmen die Vereinten Nationen nur 82,3 Prozent der Jahresbeiträge ein, das war der niedrigste Wert in fünf Jahren. „Wenn wir über die Krise der internationalen Zusammenarbeit sprechen, ist es nicht nur die Lahmlegung des UN-Sicherheitsrates bei vielen Krisen und Konflikten durch Vetomächte“, betont UN-Experte Chade. „Genauso besteht die Krise im leisen, aber weitreichenden Abbau der Funktionsfähigkeit der gesamten Vereinten Nationen.“
Jan Dirk Herbermann