Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus soll die Übergangsregierung in Bangladesch leiten. Dies teilte das Büro von Präsident Mohammed Shahabuddin am frühen Mittwochmorgen (Ortszeit) mit. Yunus hatte sich zuvor bereit erklärt, nach der Flucht von Regierungschefin Sheikh Hasina aufgrund von Massenprotesten das Amt des Übergangsregierungschefs zu übernehmen.
Die Bewegung Studenten gegen Diskriminierung (SAD), die die Anti-Regierungsproteste angeführt hatte, hatte den Wirtschaftswissenschaftler als Übergangsregierungschef ins Spiel gebracht. „Wir vertrauen Dr. Yunus“, erklärte Asif Mahmud, ein SAD-Anführer. Sheikh Hasina war nach zuletzt 15 Jahren an der Macht am Montag aus dem südasiatischen Land geflohen.
Yunus gilt seit Längerem als politischer Widersacher von Ex-Regierungschefin Hasina. Gegen ihn laufen mehr als hundert Gerichtsverfahren, die Unterstützer als politische Verfolgung kritisierten. Der heute 84-Jährige hatte in den 1980er-Jahren die Grameen Bank gegründet, die Mikrokredite an die ärmsten Menschen in Bangladesch vergibt. 2006 wurde dem Wirtschaftswissenschaftler dafür der Friedensnobelpreis verliehen.
Ganz zu Anfang des Jahres war Yunus von einem Gericht in seiner Heimat zu sechs Monaten Haft und einer Geldstrafe verurteilt worden, weil er mit dem gemeinnützigen Teil seiner Firma Arbeitsrecht verletzt haben soll. Yunus‘ Unterstützer kritisierten das Urteil als politisch motiviert. Insgesamt mehr als hundert Verfahren wurden gegen Yunus in Gang gesetzt, bei denen ihm Arbeitsrechtsverstöße, Betrug und Korruption vorgeworfen werden. Yunus hat stets seine Unschuld beteuert.
Bei den gewaltsamen Protesten gegen Hasina und ihre Regierung wurden allein am Montag mindestens 109 Menschen getötet, wie Polizei und Ärzte am Dienstag mitteilten. Es war der blutigste Tag seit Beginn der Massenproteste Anfang Juli. Nach AFP vorliegenden Zahlen wurden insgesamt mindestens 409 Menschen getötet.
Ursprünglich waren die Demonstranten gegen eine Quotenregelung für die Vergabe von Jobs im öffentlichen Dienst auf die Straße gegangen, die ihrer Ansicht nach Unterstützer von Hasina bevorzugte. Nach und nach wurde dann der Rücktritt der seit 2009 amtierenden Regierungschefin das Ziel der Protestbewegung, der sich immer mehr Menschen aus allen Bevölkerungsschichten anschlossen.
Die 76-jährige Hasina war im Jänner in einer von einem großen Teil der Opposition boykottierten Wahl im Amt bestätigt worden. Ihrer Regierung wurden unter anderem der Missbrauch staatlicher Institutionen zum eigenen Machterhalt und die Unterdrückung von Regierungskritikern vorgeworfen - bis hin zur außergerichtlichen Tötung Oppositioneller. In den vergangenen Wochen gingen Millionen Menschen auf die Straße und forderten ihren Rücktritt.
Kurz vor der Bekanntmachung zur Auflösung des Parlaments wurde zudem die Oppositionsführerin und ehemalige Premierministerin Khaleda Zia aus dem Hausarrest freigelassen, wie ihre Partei mitteilte. „Sie ist jetzt frei“, sagte der Sprecher der Bangladesh National Party (BNP), A. K. M Wahiduzzaman, der Nachrichtenagentur AFP. Die Politikerin ist eine erbitterte Rivalin von Hasina. Zia war wegen Korruption verurteilt und unter Hausarrest gestellt worden. Die Familien beider Frauen bestimmen die Politik Bangladeschs seit der Unabhängigkeit des damaligen Ostpakistan vom Rest des heutigen Pakistan im Jahr 1971. Zia amtierte von 1991 bis 1996 und wieder von 2001 bis 2006 als Premierministerin. Hasina führte die Regierungsgeschäfte von 1996 bis 2001 und von 2009 bis zum gestrigen Tag.