Er galt als einer der mutigsten und ausdauerndsten ausländischen Berichterstatter in Russland und als jemand, der dem Land sowie dem russischen Volk stark verbunden war – und wurde im Juli wegen angeblicher Spionage zu 16 Jahren Haft verurteilt: Nun ist Evan Gershkovich, Reporter des „Wall Street Journal“, im Zuge eines umfangreichen Gefangenenaustausches freigekommen.

Lange nachdem die meisten anderen westlichen Journalisten Russland nach Beginn der Offensive in der Ukraine im Februar 2022 bereits den Rücken gekehrt hatten, entschied sich der US-Reporter zu bleiben – allen Risiken zum Trotz.

„Er liebt das russische Volk“

Im März 2023 wurde Gershkovich bei einer Recherchereise in Russland festgenommen. Vor Prozessbeginn saß der 32-Jährige in Moskaus berüchtigtem Lefortowo-Gefängnis ein – er war der erste ausländische Journalist, der seit der Sowjetzeit wegen angeblicher Spionage verhaftet wurde. Moskau beschuldigte ihn, geheime Verteidigungsinformationen für die US-Regierung ausspioniert zu haben. Das Weiße Haus und sein Arbeitgeber wiesen die Anschuldigungen zurück. Das „Wall Street Journal“ erklärte, Gershkovich habe lediglich „seinen Job gemacht“.

Anfangs sei sie froh gewesen, dass ihr Sohn sich ein Leben in dem Land aufgebaut habe, aus dem sie und ihr Vater in den 1970er- Jahren vor Repression und Antisemitismus geflohen waren, sagte Gershkovichs Mutter, Ella Milman, der Nachrichtenagentur AFP. „Er liebt das russische Volk“, erklärte sie im vergangenen Jahr in einem Videointerview mit dem „Wall Street Journal“. Ihr Sohn habe es als seine Pflicht empfunden, über Russland zu berichten. Nach seiner Festnahme erklärte Gershkovichs Familie, sie habe nie damit gerechnet, „dass unser Sohn und Bruder in eine solche Lage geraten könnte“.

Gershkovich recherchierte und schrieb insgesamt sechs Jahre lang mit großer Leidenschaft über die Heimat seiner Eltern. Aufgewachsen im US-Bundesstaat New Jersey, gab er 2017 seine Stelle als Redaktionsassistent bei der „New York Times“ auf, um nach Russland zu ziehen. Er arbeitete zunächst für die „Moscow Times“ und vor dem Wechsel zum „Wall Street Journal“ ein Jahr lang für das Moskauer Büro der Nachrichtenagentur AFP.

Schwere Haftbedingungen

Nicht nur sein fließendes Russisch, auch sein offenes Wesen erleichterten ihm die Recherche. „Alle Gesprächspartner spürten, dass ihm die Geschichten am Herzen lagen“, sagt Pjotr Sauer, Korrespondent des „Guardian“ und enger Freund Gershkovichs. Der Journalist beschrieb, wie Russen den Ukrainekonflikt erlebten, interviewte Familien von toten Soldaten und Kritiker von Präsident Wladimir Putin.

In Lefortowo teilte er eine Zelle mit einem anderen Häftling und durfte nach eigenen Angaben jeden Tag einen einstündigen Gang in einem kleinen Hof machen. Auch nach seiner Inhaftierung verlor Gershkovich seinen oft schrägen Humor nicht. In einem ersten handgeschriebenen Brief aus dem Gefängnis an seine Eltern hieß es: „Mama, du hast mich gut auf das Gefängnisessen vorbereitet.“