Nach den jüngsten Krawallen rechtsradikaler Gruppen in der nordwestenglischen Stadt Southport fürchten auch andere Städte in Großbritannien einen unruhigen Sommer auf den Straßen. Am Dienstag war es zu den Ausschreitungen in Southport gekommen, 30 Stunden nach der schrecklichen Bluttat in einem örtlichen Kinderklub: Ein 17-Jähriger hatte elf zu einer Tanz-Party gekommenen kleinen Mädchen und zwei Erwachsene mit einem Messer angegriffen und wild auf sie eingestochen. Drei Kinder (6, 7 und 9) sind gestorben.

Eine Spur der Verwüstung hinterließen die mit Bussen angereisten Randalierer.
Eine Spur der Verwüstung hinterließen die mit Bussen angereisten Randalierer. © AFP / Roland Lloyd Parry

Bald reisten Gruppen Auswärtiger – teils in Bussen – an, um wenig später zur örtlichen Moschee zu ziehen. Die Angereisten warfen mit Backsteinen Fenster der Moschee ein, setzten Autos in Brand und begannen, Geschäfte zu plündern. Auch Mülltonnen, Straßenschilder und andere Gegenstände flogen durch die Luft. Als die Polizei anrückte, lieferten Hunderte maskierter Männer und Jugendlicher den Polizisten mit Steinen, Flaschen und Feuerwerkskörpern wütende Straßenkämpfe. Teilnehmer der Krawalle skandierten „Keine Kapitulation!“ und „Englisch bis zum Tod!“ Über 50 Polizeibeamte wurden verletzt.

Desinformation im Netz

Die Polizeichefs beschuldigten die rechtsradikale Organisation „English Defence League“ (EDL), die Messerattacke in Southport dazu genutzt zu haben, „Hass aufzurühren“. Hemmungslose Spekulationen in den sozialen Medien über die Identität des 17-jährigen Messerstechers hatten die Behörden bereits das Schlimmste befürchten lassen. In kürzester Zeit waren frei erfundene „Nachrichten“ im Netz: In einer Twitter-„Enthüllung“ wurde unter anderem behauptet, dass der verhaftete 17-Jährige ein Asylbewerber sei, der es im Vorjahr als illegaler Migrant über den Ärmelkanal geschafft habe. Er sei außerdem ein fanatischer Islamist, der auf einer Liste des britischen Geheimdiensts gestanden habe.

Diese Behauptung, samt falschem Namen, hatte am Montagabend bereits zwei Millionen Zuschauer erreicht. Auf YouTube wurde unter anderem ein Video gepostet, das nach sofortigem Ausnahmezustand und Zwangs-Deportationen rief. Tatsächlich hatte die Polizei, die den Namen des Verhafteten nicht veröffentlichen darf, weil er noch nicht volljährig ist, lediglich dessen Alter bekannt gegeben und gemeldet, dass das walisische Cardiff sein Geburtsort sei. Die BBC hatte dem hinzugefügt, dass die Eltern aus Ruanda stammten. Mehr war über seinen Hintergrund zunächst einmal nicht bekannt. Mit irgendwelchen Terrorismus-Verbindungen, erklärte die Merseyside Police, habe das Ganze jedenfalls nichts zu tun.

Nigel Farage stachelt an: „Untergräbt Basis des Zusammenhalts“

Das bezweifelte freilich Nigel Farage, der Führer der rechtspopulistischen Reform-Partei, der seit jüngstem Abgeordneter in Westminster ist. „Ich frage mich, ob uns hier die Wahrheit vorenthalten wird“, erklärte Farage, mit Blick auf Polizei und Regierung. Es sei „ekelhaft“, meinte dazu der frühere prominente Tory-Parlamentarier Tobias Ellwood, „dass ein amtierender Abgeordneter bewusst Spannungen anfacht, ohne alle Rechtfertigung“.

Brendan Cox, dessen Frau Jo Cox 2016 wegen ihrer pro-europäischen Haltung als Labour-Abgeordnete von einem Rechtsextremisten ermordet worden war, wurde noch eine Spur deutlicher. Er erklärte: „Die Tatsache, dass Nigel Farage diese Leute aufgeputscht hat, dass er solche Gefühle aufrührt, sollte uns überlegen lassen, wo wir ihn einordnen.“ Farage untergrabe die Basis allen sozialen Zusammenhalts.

Dabei war Farage schon im Wahlkampf vorgeworfen worden, er nehme Kandidaten seiner Partei in Schutz, die in Wirklichkeit Rechtsextremisten, Faschisten, Rassisten und Islamophoben seien. Farage selbst hatte noch im Mai geklagt, eine wachsende Zahl von Moslems in Großbritannien fühle sich „britischen Werten offensichtlich nicht mehr verpflichtet – die hassen doch geradezu, wofür wir stehen“.