Alles vergeben und vergessen. Diesen Eindruck erweckte der freundliche Empfang von Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu im Weißen Haus. Noch im Mai drohte US-Präsident Joe Biden dem israelischen Premier mit einem Stopp der Waffenlieferungen. Grund dafür war der geplante israelische Einmarsch in Rafah im Süden des Gaza-Streifens.
Freundlicher Empfang
Das Treffen im Oval Office am Donnerstag war von solch harten Ansagen weit entfernt. Netanjahu bedankte sich bei Biden für dessen Unterstützung, der Präsident drängte hingegen auf eine Waffenruhe im Gaza-Streifen. In einer Fernsehansprache kündigte Biden zuletzt an, eine Beendigung des Kriegs in Gaza zur größten Priorität seiner verbleibenden Präsidentschaft zu machen.
Netanjahu selbst zeigte bisher wenig Interesse an Frieden. Das sorgt auch in Israel für wachsenden Unmut: Regelmäßig gehen Tausende Menschen auf die Straße, um für eine Waffenruhe und einen erfolgreichen Geiseldeal mit der Hamas zu demonstrieren. Für internationales Aufsehen sorgen die unzähligen Zivilisten in Gaza, die die israelische Armee nach dem Terror-Angriff vom 7. Oktober getötet hat.
Kaum Kritik an Israel
Zudem werden israelische Regierungsmitglieder immer wieder für ihre Rhetorik kritisiert. Zum Beispiel Finanzminister Bezalel Smotrich: Er drohte zuletzt, palästinensische Häuser im Westjordanland in „Ruinen wie im Gaza-Streifen“ zu verwandeln. In dem palästinensischen Gebiet wurde in den vergangenen Monaten viel Land von Israelis besiedelt, mehrere dieser Gebiete wurden von der israelischen Regierung sogar für legal erklärt. Völlig anders sieht es das höchste Gericht der Vereinten Nationen, das die Siedlungen im Westjordanland vergangene Woche für illegal erklärte.
Die Gewalt der Siedler gegenüber den Palästinensern war auch Thema bei einem zweiten Treffen von Netanjahu in Washington. Vizepräsidentin Kamala Harris habe laut Weißem Haus „Bedenken“ über die Stabilität im Westjordanland geäußert. Die Präsidentschaftsbewerberin kritisierte zudem die hohen Todeszahlen in Gaza: „Wir können angesichts dieser Tragödien nicht wegschauen. Wir können es uns nicht erlauben, angesichts des Leids gefühllos zu werden.“
Gaza als US-Wahlkampfthema
Ihre Botschaft richtet sich weniger an Netanjahu, als an die eigene potenzielle Wählerschaft. Unter jungen demokratischen Zielgruppen wächst das Mitgefühl mit den Palästinensern. Viele wollen ein Ende der US-amerikanischen Unterstützung für Israels Krieg.
Dieser Wunsch dürfte unerfüllt bleiben, denn Israel ist für Washington eine unerlässliche strategische Bastion im Nahen Osten. Kein anderes Land vertritt in der Region derartig loyal die Interessen der USA. Diese enge Partnerschaft wurde auch bei Netanjahus Rede im US-Kongress am Mittwoch sichtbar. Er sprach in seiner Rede von einem „totalen Sieg“ im Gaza-Streifen. Für seine energischen Ausführungen erhielt der Regierungschef von den Abgeordneten stehende Ovationen.
Kamala Harris war bei der Rede nicht im Saal anwesend. Ihre Position gegenüber Netanjahu und Israel wird im Präsidentschaftswahlkampf eine wichtige Rolle spielen. Ein Drahtseilakt. Die Stimmen von israelkritischen jungen Wählern wird sie brauchen, wenn sie Donald Trump im Herbst schlagen will. Der Ex-Präsident war während seiner Amtszeit ein vehementer Unterstützer von Benjamin Netanjahu. Bei seinem USA-Besuch will Netanjahu deshalb auch einen Stopp auf Trumps Anwesen Mar-a-Lago einlegen.