Seit US-Präsident Joe Biden am Sonntag das Handtuch geworfen hat und seine erneute Kandidatur für das US-Präsidentenamt zurückgezogen hat, steht vor allem ein Name im Fokus: Kamala Harris. Seine Vize-Präsidentin solle statt seiner kandidieren und ihm ins Weiße Haus folgen. Dafür hat sich der Noch-Präsident ausgesprochen. Doch hat Harris die Kandidatur der demokratischen Partei damit schon sicher in der Hand? USA-Experte und Politikwissenschaftler Michael Werz schätzt ihre Chancen in der ZiB2 bei Armin Wolf als gut ein: „Im Moment sieht es so aus, dass Harris die Kandidatur in einem ersten Schritt für sich gesichert hat“.

Vor allem seit der Congressional Black Caucus, die einflussreiche schwarze Abgeordnetengruppe im Kongress, sich ganz deutlich hinter Harris gestellt hat, stehe nun die gesamte Führungsriege der Demokraten auf ihrer Seite. Ob sich diese Zustimmung auch in der Wählerschaft abbildet? „Wir werden abwarten müssen, was die ersten Umfragen Ende der Woche ergeben“, sagt Werz in der ZiB 2.

Für Trump ist es mit Harris schwieriger geworden

Ihre Chancen gegen Trump stehen aus Werz‘ Sicht jedoch nicht schlecht. Es sei mit Harris als Kontrahentin für Trump schwieriger geworden, weil Biden im Gegensatz zur jüngeren Harris schwach war. „Es wird für Trump aber auch schwieriger, weil er mit J. D. Vance einen 40 Jahre jüngeren, aber politischen sehr nahe stehenden Vizepräsidenten-Kandidaten gewählt hat“, ordnet Werz ein. Daher gelte es für die Republikaner nun, „nicht zu viele moderate Republikaner zu verlieren“. Zudem gehe die Strategie der Republikaner, die primär auf einen Wahlkampf gegen Joe Biden ausgerichtet war, jetzt nicht mehr auf. „Diesen Spieß kann Harris jetzt umdrehen, denn jetzt ist Trump der älteste Kandidat, der jemals für ein Präsidentenamt angetreten“, so der Politikwissenschaftler.

Schwierig einzuschätzen sei laut Werz, wer mit Kamala Harris als VP-Kandidat in den Wahlkampf ziehen könnte. „Die Gerüchteküche brodelt“, bestätigt der in Washington ansässige Politikwissenschaftler. Gute Chance habe möglicherweise der Gouverneur von Pennsylvania, Josh Shapiro. Dem Demokraten sei es gelungen, einen konservativen Staat für sich zu gewinnen.

Aus seiner Sicht werde sich Harris wohl als erstes von Bidens Israel-Politik distanzieren, da diese gerade bei jungen Wählern sehr unbeliebt ist. Aber: „Die Delegierten müssen am Parteitag der Demokraten die beiden Kandidaten erst noch wählen. Diese aktuelle Situation ist für die Demokraten neu und historisch zugleich.“

Präsidentenamt nicht aus wahltaktischen Gründen abgeben

Als richtig schätzt Werz die Entscheidung Bidens ein, seine Amtszeit zu Ende zu führen und nicht vorzeitig an Kamala Harris die Präsidentschaft zu übergeben. „Das Amt sollte man nicht aus wahltaktischen Gründen abgeben. Das käme auch nicht gut bei den Wählerinnen und Wählern an. Biden wird als Präsident in die Geschichte eingehen, der extrem erfolgreich bei Investitionen in vielen Bereichen gewesen ist - von Bildung bis Infrastruktur. Das wird er sich nicht nehmen lassen.“

Wenig überrascht war Harris-Biografin Marie-Astrid Langer, die ebenfalls in der ZiB 2 zu Gast war, dass Biden seine Vize-Präsidentin vorgeschlagen hat. „Sie ist die logische Nachfolgerin als Vize-Präsidentin. Wichtig ist es jetzt vor allem, dass sich die Demokraten schnell hinter einem Kandidaten oder einer Kandidatin einigen.“

Fehlende Unterstützung Obamas „weit weniger dramatisch“

Nicht überbewerten solle man hingegen die fehlende Unterstützung von Ex-Präsident Barack Obama. Das habe Marie-Astrid Langer nicht überrascht. „Obama war auch früher schon immer dafür, dass die Kandidatenwahl ein geordnetes Verfahren ist. Wenn Harris offiziell nominiert ist, dann wird er sich voll und ganz hinter sie stellen, das hat er immer klargemacht. Daher ist die Lage weit weniger dramatisch, als sie von außen wahrgenommen wird“, so Langer.

Die Harris-Biografin betonte in der ZiB2 auch, dass Kamala Harris Zeit ihres politischen Lebens immer unterschätzt wurde. „Sie hat es geschafft, als erste Frau in den USA Bezirksstaatsanwältin in San Francisco zu werden, als erste Frau wurde sie in Kalifornien Justizministerin, sie ist erst die zweite schwarze Senatorin und erste Frau, die Vizepräsidentin wurde. In vielen dieser Rennen war sie der Underdog, der sich dann durchgesetzt hat.“

Die Chancen für eine erfolgreiche Kandidatur von Kamala Harris macht Langer daher nicht von den USA an sich, sondern von den Wählern neuralgischer US-Bundesstaaten abhängig. „Die Frage ist, ob die Swing-States bereit für eine Präsidentin sind. Das werden wir in den nächsten Monaten erfahren.“