Schneller als erwartet, ist Joseph Robinette Biden Geschichte. Der demokratische Präsident der USA hat sich dem Druck der eigenen Parteifreunde gebeugt und will nicht mehr antreten. Er hat Kamala Harris als Nachfolgerin empfohlen, seine Vizepräsidentin, und die Partei versammelt sich gerade hinter ihr, darunter die Vorstände aller 50 Bundesstaaten, Bill und Hillary Clinton, zahlreiche Senatoren und Gouverneure, darunter Gavin Newsom aus Kalifornien und viele andere, die als Biden-Nachfolger gehandelt wurden, aber auch hohen Biden-Bediensteten wie Verkehrsminister Pete Buttigieg.

Neuer Vizepräsident gesucht

Die öffentliche Unterstützung einiger hochrangiger Demokraten steht allerdings noch aus, etwa die von Nancy Pelosi, die langjährige Sprecherin des Repräsentantenhauses, und die des früheren Präsidenten Barack Obama. Und Donald Trump will nicht gegen Harris in einer Debatte antreten, weil er nicht sicher sei, dass sie wirklich die Kandidatin sein wird.

Harris ist bereits dabei, die 96 Millionen Dollar an Parteispenden zu verbuchen, die bisher eingegangen sind. Der Wechsel von Biden dürfte die Gebefreudigkeit sprudeln lassen. Eine Reihe von Spendern für die Demokraten hatten insgesamt 90 Millionen Dollar zurückgehalten, solange Biden noch kandidieren wollte. Harris nahm bereits am Sonntag 50 Millionen Dollar an Spenden für den Wahlkampf ein. Sie muss nun auch einen Vizepräsidenten suchen, den sie auf dem Parteitag Mitte August präsentieren wird.

Keine Garantie für Harris

Das alles heißt zwar trotzdem nicht, dass Harris die Garantie hat, auf dem Parteitag im August zur Präsidentschaftskandidatin nominiert zu werden, aber es ist schon sehr, sehr wahrscheinlich. Zwar gibt es interne Bedenken, denn die Umfragewerte von Harris sind nicht signifikant besser als die von Biden und persönlich beliebt ist sie auch nicht. Aber sie nun abzusägen, wäre ein großer Affront gegen Frauen und Afroamerikaner.

Und letztlich hat Biden sie ja explizit geholt, um ein Zeichen für Letztere zu setzen. Dabei sind die beiden im Vorwahlkampf von 2020 öfter zusammengerasselt. Biden hatte sich 1970 gegen das sogenannte „Busing“ ausgesprochen, ein Versuch mehrerer Bundesstaaten, Schulen ethnisch zu integrieren, indem schwarze Schüler per Bus in eine weiße Schule gebracht wurden. Sie selber, sagte Harris in der Debatte zu Biden, sei als kleines Mädchen per Bus in eine bessere Schule gefahren worden.

Vom jüngsten Senator zum Vizepräsidenten

Auch im Fall Anita Hill hat Biden nicht die Zeichen der Zeit erkannt. Hill, eine bei der Regierung angestellte Juristin, hat den heutigen Verfassungsrichter Clarence Thomas der sexuellen Belästigung bezichtigt; Biden zählte damals zu denen, die ihr nicht geglaubt hatten. Dafür hat er sich inzwischen entschuldigt. Mittlerweile hat er das Vertrauen schwarzer Führungspersönlichkeiten gewonnen, aber Trump versucht seit einiger Zeit, dort zu wildern. Auch in anderen Politikfeldern war Biden früher nicht so woke, wie er sich heute gibt. Er trat mehrfach gegen die Schwulenehe ein, vor allem im Militär. 

Biden hat ein halbes Jahrhundert amerikanische Geschichte mitgemacht. 1942 geboren, wurde er 1972 der jüngste Senator im Kongress und hatte sich Hoffnungen gemacht, der jüngste Präsident zu werden. Dazu kam es nicht. Erst als Obama ihn zum Vizepräsidenten machte, schaffte er es ins Weiße Haus – nicht sofort allerdings, erst trat die erfolglose Hillary Clinton gegen Trump an. Das nahm Biden der Partei lange übel.

Bidens Erfolge und Misserfolge

Bidens Bilanz als Präsident ist gemischt. Zwar gelang es ihm, die Wirtschaft nach der Coronakrise anzukurbeln, aber die Inflation, die vielen Amerikanern noch heute zu schaffen macht, hat er nie in den Griff bekommen. Er konnte zwar Gesetze durchsetzen, um hohe Kreditzinsen und Gebühren zu deckeln, aber erst relativ spät in seiner Amtszeit.

Der Rückzug aus Afghanistan, von allen gewollt, verlief chaotisch und forderte Opfer. Als der damalige Präsident George W. Bush in Afghanistan einmarschierte, war Biden ein eifriger Unterstützer gewesen. Aber viele Amerikaner fragen sich heute, warum Unsummen für einen Krieg ausgegeben wurden, der damit endete, dass die exakt gleichen islamischen Fundamentalisten am Ruder waren wie zuvor.

Zwar hätten die Republikaner das nicht besser hinbekommen – der Rückzug aus dem Irak unter Donald Trump verlief nur geringfügig geordneter und hinterließ ebenfalls keine wirkliche Demokratie. Aber das ist lange her. Und Bidens Israelpolitik zeigte wenig Erfolge. Er ließ sich von Benjamin Netanyahu auf der Nase herumtanzen und schaffte es trotz mehrmaliger Versuche nicht, einen Waffenstillstand durchzusetzen, und nur sehr rudimentär, humanitäre Hilfe für Palästinenser zur Verfügung zu stellen.

Bidens größte Probleme

In der Biden-Zeit attackierten auch Houthi-Rebellen im Jemen amerikanische Handelswege. Ähnlich schwierig ist es im Ukrainekrieg: Trotz massiver finanzieller Hilfen – die in den USA immer unpopulärer werden – geht in der Ukraine schon seit längerer Zeit nichts mehr vorwärts. Und Biden verabschiedete zwar ein umfangreiches Infrastrukturprogramm, die Umsetzung läuft aber langsamer als versprochen.

Am meisten Ärger bereitete es Biden aber, dass er den Flüchtlingsstrom an der mexikanischen Grenze nicht in den Griff bekam, und auch nicht Harris, die er vor Ort schickte. Trump hatte für die Verlängerung der Grenzmauer Gelder vom Kongress lockergemacht, das Bauvorhaben legte Biden nun auf Eis, ohne aber einen richtigen Plan zu haben, wie der Massenansturm bewältigt werden sollte.