Israels Besatzung der palästinensischen Gebiete ist nach Auffassung des höchsten UNO-Gerichts illegal und muss so schnell wie möglich beendet werden. Israel verstoße mit seiner fast 60 Jahre dauernden Besatzung gegen internationales Recht, stellt der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag in einem Rechtsgutachten fest. „Israels Anwesenheit in den besetzten palästinensischen Gebieten ist unrechtmäßig“, sagte Gerichtspräsident Nawaf Salam.
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu wies das Gutachten zurück und gab zu verstehen, dass sich sein Land nicht daran halten werde. Das Rechtsgutachten ist rechtlich nicht bindend. Dennoch hat es möglicherweise hohe Sprengkraft. Denn es wird erwartet, dass der internationale Druck auf Israel weiter steigt, die Angriffe im Gazastreifen zu beenden. Das Gutachten dürfte auch die propalästinensische Protestbewegung weltweit befeuern.
Israels Ministerpräsident Netanyahu schrieb dagegen bei X: „Das jüdische Volk ist kein Besatzer in seinem eigenen Land. Keine Fehlentscheidung in Den Haag wird die historische Wahrheit verfälschen, sowie die Rechtmäßigkeit der israelischen Siedlungen auf dem gesamten Gebiet unserer Heimat nicht angefochten werden kann.“
Die Siedlungspolitik Israels in den besetzten Gebieten ist laut Rechtsgutachten ungesetzlich. Der Gerichtshof sprach von einer „Annektierung“ weiter Gebiete. Israel tue auch nichts, um Gewalt der Siedler gegen Palästinenser zu verhindern und zu bestrafen. Das Gericht fordert einen sofortigen Baustopp aller neuen Siedlungen.
Der Gerichtshof sah es außerdem als erwiesen an, dass Israel seine Besatzungsmacht missbraucht. Palästinenser würden gezwungen, von ihnen bewirtschaftetes Land zu verlassen. Zudem werde ihnen der Zugang zu Wasser verwehrt.
Palästinenserpräsident Abbas: „Triumph der Justiz“
Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas begrüßte dagegen das Gutachten. Dieses sei „ein Triumph der Justiz, eine Bestätigung dafür, dass die israelische Besatzung illegal ist“. Abbas fordert die internationale Gemeinschaft dazu auf, „die Besatzungsmacht Israel dazu zu bringen, dass sie ihre Besatzung und ihr koloniales Projekt vollständig und unverzüglich beendet, ohne Bedingungen und Ausnahmen“. Das teilte das Präsidentschaftsamt in Ramallah mit. Das Gutachten war von der UNO-Vollversammlung bereits im Dezember 2022 in Auftrag gegeben worden, also lange vor Beginn des jetzigen Gazakrieges.
Nicht nur die internationale propalästinensische Protestbewegung wird sich in ihren Forderungen nach Sanktionen oder Boykotten gestärkt sehen. Auch mehr westliche Staaten könnten nun Palästina als Staat anerkennen. Das Gutachten könnte auch Einfluss haben auf westliche Waffenlieferungen an Israel.
Denn die Richter weisen sehr deutlich auch die UNO-Mitgliedsstaaten auf ihre Verantwortung hin. Sie dürfen die Besatzungspolitik nicht unterstützen oder den von Israel geschaffenen Status quo nicht akzeptieren.
Druck auf Israel wächst
Der Druck auch der westlichen Verbündeten hatte bereits wegen der andauernden Angriffe auf den Gazastreifen stark zugenommen. Der Terrorangriff der islamistischen Hamas Anfang Oktober mit hunderten Toten war Auslöser des Krieges. Doch inzwischen wurden auch Zehntausende Menschen getötet. Und das Leiden der Bevölkerung ist groß.
Israel hatte das Westjordanland, den Gazastreifen und Ost-Jerusalem im Sechstagekrieg von 1967 besetzt. Die Palästinenser beanspruchen diese Gebiete aber für einen eigenen Staat. 2005 hatte Israel Gaza wieder verlassen, aber kontrolliert weiter Grenzen zu Land, Wasser und in der Luft. Die Palästinenser haben ein Recht auf Selbstbestimmung, stellt der Gerichtshof fest. Doch das Recht werde ihnen von Israel vorenthalten.
Internationale Lösung gesucht
Eine Lösung des Konflikts müsse von der internationalen Staatengemeinschaft kommen, betonen die Richter. Sie rufen die UNO-Generalversammlung und den Sicherheitsrat auf, ihre Anstrengungen für eine friedliche und dauerhafte Lösung zu verstärken.
Es ist das zweite Rechtsgutachten des Gerichtshofes zur Besatzungspolitik Israels. Vor 20 Jahren, im Juli 2004, hatten die Richter bereits erklärt, dass die von Israel im Westjordanland errichtete Mauer gegen internationales Recht verstoße und daher abgerissen werden müsse. Israel hielt sich aber nicht daran.
Das heute vorgestellte Gutachten ist unabhängig von dem anderen Verfahren vor dem UNO-Gericht. Südafrika hatte 2023 Israel vor den Gerichtshof gebracht und dem Land wegen der Angriffe auf den Gazastreifen Völkermord vorgehalten. Israel bestreitet diese Vorwürfe. In zwei Zwischenentscheidungen hatte das Gericht Israel ermahnt, alles zu tun, um einen Völkermord zu verhindern.