Et tu, Obama! Immer mehr prominente Demokraten bringen immer unverhohlener zum Ausdruck, dass sie nicht mehr daran glauben, dass mit Joe Biden das Rennen um die US-Präsidentschaft noch zu gewinnen sei. Selbst Ex-Präsident Barack Obama, der bislang ohne Vorbehalt hinter der Kandidatur seines Nachfolgers stand, soll sich kritisch geäußert haben. Laut Washington Post habe der einflussreiche Demokrat gegenüber seinem Umfeld gemeint, dass Biden seine Kandidatur ernsthaft infrage stellen müsse. Zugleich habe er aber betont, dass ein Rückzug aus dem Rennen einzig und alleine Bidens Entscheidung sei.
Obama wolle das Ansehen und Erbe Bidens schützen, heißt es aus dessen Umfeld. Biden sei für ihn ein guter Präsident gewesen, aber das von ihm Erreichte sei bedroht, wenn die Republikaner ins Weiße Haus ziehen und sich in weiterer Folge auch beide Kammern des Kongresses holen.
Zwei Drittel der Demokraten fordern Rückzug
Keine Spur also von einem Abflauen der Debatte, gut drei Wochen nach dem verpatzten TV-Auftritt Bidens – im Gegenteil. In den letzten Tagen scheint sie massiv an Fahrt aufzunehmen und das einzige Thema bei den Demokraten zu sein. Während die Republikaner Donald Trump nach dem gescheiterten Attentat und dem pompös inszenierten Parteitag fast religiös verehren, geht es bei öffentlichen Auftritten des Präsidenten in erster Linie um die Fragen, welche Aussetzer oder Verwechslungen ihm nun schon wieder passiert sind, Sachthemen treten in den Hintergrund. Dass man unter diesen Umständen kaum erfolgreich wahlkämpfen kann, liegt auf der Hand.
Das sieht wohl auch die Basis so. Laut einer AP-Umfrage sind inzwischen fast zwei Drittel der Demokraten der Meinung, Biden solle das Feld räumen. Nur drei von zehn sind noch davon überzeugt, dass Bidens mentaler Zustand eine effektive Amtsführung erlaube.
Bidens Wahlkampfchefin winkt ab
Joe Biden selbst befindet sich seit Mittwoch in seinem Strandhaus in Rehoboth Beach im Bundesstaat Delaware. Wegen einer Coronainfektion musste er eine Wahlkampfreise in Nevada abbrechen, um sich mit leichten Symptomen zurückzuziehen. Der 81-Jährige hat also Zeit zum Nachdenken. Aber wird er auch umdenken? Die Chefin von Bidens Wahlkampfkampagne, Jen O’Malley Dillon, winkt ab. Er bleibe „absolut“ im Rennen und sei die „beste Person, um es mit Donald Trump aufzunehmen“, sagte sie am Freitag zu MSNBC.
Für weiteren Wirbel sorgten Berichte, wonach die langjährige Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, in einem Telefonat Klartext mit dem Präsidenten gesprochen haben soll. Pelosi – sie gilt nach wie vor als sehr einflussreiche Demokratin – habe ihn auf deutliche Umfragewerte und die mögliche Gefährdung der demokratischen Siegeschancen hingewiesen. Parteikollegen soll sie gesagt haben, dass sich Biden bald überzeugen lassen könne. Öffentlich betonte sie gegenüber MSNBC, dass die Entscheidung bei Biden liege, aber er müsse diese schnell treffen, „denn die Zeit wird knapp“. Viele ihrer Parteikollegen – darunter 26 Kongressabgeordnete – haben sich auch in der Öffentlichkeit bereits deutlicher ausgedrückt. Dazu kommen immer mehr demokratische Wahlkampfspender, die Bidens Rückzug fordern.
Rückzug „Frage der Zeit“
Öffentlich beharrte Biden bislang auf seiner Kandidatur. Doch laut Insidern, auf die sich die „New York Times“ bezieht, soll bei ihm begonnen haben, „die Realität einzusetzen“. Für andere ist ein Rückzug nur noch eine Frage der Zeit. Beobachter rechnen damit sogar schon in den nächsten Tagen. In diesem Fall gilt als wahrscheinlich, dass er seine Vize-Kandidatin Kamala Harris für seine Nachfolge vorschlägt.