An sich ist eine rotierende Ratspräsidentschaft eine glanzvolle Angelegenheit, mit festlichen Empfängen, prächtigen Bildern und Ratstreffen in pittoresken Schlössern – das Gastgeberland will sich dem Rest der europäischen Welt von seiner besten Seite zeigen und als „Herr über die Agenda“ wichtige Dossiers vorantreiben oder idealerweise lange, schwierige Verhandlungen zum Abschluss bringen.

Ungarn will, so sieht es derzeit aus, nichts von alldem. Ganz im Gegenteil. Premier Viktor Orbán hat vom ersten Tag an als Ratsvorsitzender keine Gelegenheit ausgelassen, die anderen EU-Länder zu düpieren und einen Keil in die Gemeinschaft zu schlagen. Seine Reisen nach Kiew, Moskau und Peking müssen von langer Hand vorbereitet worden sein, sie exakt an den Beginn der Präsidentschaft ohne Information der anderen (bzw. gegen den Willen der Gemeinschaft) durchzuführen, zeigt Orbáns Sinn für „Zusammenarbeit“ auf erschreckende Weise auf.

Das alles erfordert eine Antwort. Die bekommt Ungarn auch schon. Abgesehen davon, dass nicht nur die EU-Spitzen, sondern auch zahlreiche Staats- und Regierungschefs empört auf den Alleingang reagiert haben, brauen sich in Brüssel dunkle Wolken zusammen. In einer internen Runde der Botschafter (COREPER II) befasste man sich bei Punkt vier der Tagesordnung mit der Frage, welche Rechte und Pflichten exakt mit der Ratspräsidentschaft verbunden sind, ausgelöst durch einen Anstoß aus Polen; 13 Länder (Österreich ist nicht dabei) haben sich vorerst angeschlossen. Im Raum steht der ursprünglich schon vom Parlament geforderte Entzug der Ratspräsidentschaft. Mutmaßlich würde eine qualifizierte Mehrheit im Rat dafür schon reichen, aber man muss wohl auch die internen diplomatischen (und rechtlichen) Folgen abwägen. Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg will davon auch nichts wissen.

Ministerrat (fast) ohne Minister

In Budapest muss man sich indessen wohl oder übel damit abfinden, dass der Rest der EU mit den Eskapaden des Premiers nicht einverstanden ist. So wurde der Besuch der gesamten Kommission, sonst ein freundliches Pflichtprogramm in den ersten Tagen, wegen „Terminkollisionen“ auf unbestimmte Zeit in den Herbst verschoben. Und auch ein informelles Treffen der Wettbewerbsminister am Dienstag verlief eher unglamourös, ein Großteil der Mitgliedsländer, auch Österreich, war nicht durch die Fachminister, sondern durch Spitzenbeamte vertreten.

Orbán, der mittlerweile in Washington beim Nato-Gipfel ist, kann sich im Ausland damit brüsten, dass seine Fidesz-Abgeordneten nun wieder in einer neuen Fraktion im EU-Parlament vertreten sind. Wie berichtet, sind die „Patrioten für Europa“, die vom Rassemblement National von Marine Le Pen dominiert werden, auf Anhieb drittstärkste Fraktion geworden. Gestern bekamen sie im rechten Lager allerdings Konkurrenz, denn die hinausgeworfene deutsche AfD schaffte es auch, mit einer Gruppe Gleichgesinnter Fraktionsstatus zu erlangen. Die Fraktion „Europa Souveräner Nationen“ (ESN) wird allerdings das gleiche Schicksal wie die Patrioten treffen: Die pro-europäische Mehrheit im Parlament bleibt bei ihrer „Brandmauer gegen rechts“, wichtige Positionen wie etwa Ausschussvorsitzende werden den Rechten nicht zufallen.