Joe Biden hält sich eigenen Aussagen zufolge für den am besten geeigneten Kandidaten für das US-Präsidentenamt. „Ich glaube nicht, dass jemand qualifizierter ist, Präsident zu sein oder dieses Rennen zu gewinnen, als ich“, sagte der 81-Jährige in einem Interview mit dem Sender ABC News. Der Journalist George Stephanopoulos hatte ihn gefragt, ob das Risiko, die Wahl zu verlieren, nicht zu hoch sei. Biden gab sich unbeirrt. Nur Gott könne ihn aus dem Rennen drängen, betonte er.
Kognitive Tests an der Tagesordnung
Auf die Frage, ob er seine Kandidatur aufgeben würde, wenn die Demokraten im Kongress ihm sagen würden, er verletze ihre Chancen auf eine Wiederwahl, sagte Biden: „Wenn der Allmächtige mir sagt, dass ich das vielleicht tun könnte“. Er wisse am besten, wie man den Job mache, betonte Biden. Auch einen ärztlichen Test zu seiner geistigen Fitness lehnte er ab. . „Ich absolviere jeden Tag einen kognitiven Test. (...) Wissen Sie, ich mache nicht nur Wahlkampf, ich regiere die Welt“, argumentierte er. Niemand habe gesagt, dass ein solcher Test notwendig sei. Ärzte würden ihm sagen, dass es ihm gut gehe.
Der älteste Präsident in der US-Geschichte beharrt darauf, fit genug für eine weitere Amtszeit zu sein. Biden hatte sich bei der Debatte vor gut einer Woche mehrfach versprochen, den Faden verloren und konnte seine Sätze teils nicht beenden. Nach dem Auftritt flammte die Debatte darüber neu auf, ob Biden der richtige Kandidat der Demokraten für die Präsidentenwahl im November ist.
Angesprochen auf seine Performance in der Debatte mit Trump sagte Biden, er habe „einen schlechten Tag“ gehabt. „Ich war krank während der Debatte und habe mich mies gefühlt“, sagte er. Außerdem habe ihn Trumps Geschrei abgelenkt. Seit der Debatte habe er aber zehn größere Auftritte absolviert. „Ich bin immer noch in guter Form“, versicherte Biden.
Biden wurde von Stephanopoulos sanft, aber wiederholt gefragt, ob es realistisch sei, dass er Trump besiegen könne, da sich der Abstand zwischen den beiden Kandidaten in Umfragen vergrößere und die Besorgnis gewählter Demokraten zunehme. Die Meinungsumfragen seien unzuverlässig, konterte Biden.
Wer sind die Alternativen?
Das 22-minütige Interview, das laut Stephanopoulos weder geschnitten noch bearbeitet wurde, wurde von den Demokraten aufmerksam verfolgt. Ein hochrangiger Berater der Demokraten im Repräsentantenhaus, der nicht namentlich genannt werden wollte, äußerte gegenüber Reuters Zweifel, nachdem er einen kurzen Clip des Biden-Interviews gesehen hatte. „Ich weiß nicht, wie er (Biden) die Woche als Kandidat überstehen soll.“ „Ich habe genug gesehen“, schrieb Ron Fournier, leitender Berater der Kommunikationsagentur Truscott Rossman und ehemaliger Korrespondent des Weißen Hauses auf X. „Es ist schwer vorstellbar, dass dieser gute Mann Trump besiegen und vier weitere Jahre den anspruchsvollsten Job der Welt machen kann.“
Kurz vor Ausstrahlung des Interviews forderte ein weiterer demokratischer Abgeordneter Biden offen zum Rückzug auf. Nur wenn Biden aus dem Rennen aussteige, könne eine „totale Katastrophe“ verhindert werden, warnte Mike Quigley. Berichten zufolge versucht der Senator Mark Warner eine Gruppe von Demokraten hinter sich zu versammeln, um Biden davon zu überzeugen, aus dem Rennen auszusteigen. Angesprochen auf Warner sagte Biden: „Er ist ein guter Mann (...). Ich respektiere ihn.“
Im Vorfeld der Interview-Ausstrahlung hatte Biden betont, im Präsidentschaftsrennen bleiben zu wollen. „Lassen Sie mich das so klar sagen, wie ich kann: Ich bleibe im Rennen. Ich werde Donald Trump schlagen“, sagte er bei einem Wahlkampfauftritt in Madison im US-Staat Wisconsin. „Wenn man am Boden liegt, steht man wieder auf“, sagte der Demokrat vor jubelnden Anhängern. Mit Blick auf seinen Kontrahenten Trump sagte Biden: „Ich kann es kaum erwarten, Leute, konzentrieren wir uns auf das, was wirklich wichtig ist, nämlich gegen den größten Lügner und die größte Bedrohung anzutreten.“
Podcast-Folge: Ist das Rennen für Joe Biden gelaufen?
Allerdings ging auch der Auftritt in Wisconsin nicht ohne Panne über die Bühne. Nach der Ankündigung, Trump bei der Wahl im November schlagen zu wollen, sagte Biden: „Ich werde ihn 2020 erneut schlagen.“ Damit irrte er sich bei der Jahreszahl. Im Jahr 2020 hatte er Trump erstmals besiegt. „Übrigens, wir werden es 2024 wieder tun“, korrigierte er sich direkt im Anschluss.
Der Demokrat kämpft aktuell an allen Fronten, um seine Präsidentschaftskandidatur zu retten. Der 81-Jährige steht unter intensiver Beobachtung - jeder Auftritt wird genau verfolgt. Biden tut sich bei Auftritten, bei denen er nicht vom Teleprompter ablesen kann, oft schwer. Er verhaspelt sich regelmäßig, verwechselt Namen und Orte. Das dürfte einer der Gründe sein, warum der Demokrat kaum TV-Interviews gibt. Wegen des wachsenden Drucks gab er nun dem Starmoderator Stephanopoulos, dem früheren Kommunikationsdirektor des demokratischen Präsidenten Bill Clinton (1993-2001), ein Interview.
Einer Reuters/Ipsos-Umfrage zufolge ist einer von drei Demokraten der Meinung, dass der 81-Jährige sich aus dem Rennen um das Weiße Haus zurückziehen sollte. Als wahrscheinlichster Ersatz wurde für diesen Fall insbesondere Vizepräsidentin Kamala Harris gehandelt.
Biden hat die Präsidentschaftskandidatur für seine Partei eigentlich sicher - offiziell soll er beim Parteitag der Demokraten in Chicago im August gekürt werden. Bei den Vorwahlen hat der US-Präsident die nötigen Delegiertenstimmen dafür gesammelt. Nennenswerte Konkurrenz hatte er im Vorwahlkampf nicht. Offen ist nun, ob er doch noch das Handtuch wirft.