Kurz nach vier Uhr morgens am Freitag gab sich Rishi Sunak geschlagen. Da wusste bereits jeder, dass Labour die Wahlen nicht nur gewonnen, sondern sich eine geradezu überwältigende Mehrheit – fast eine Zweidrittelmehrheit – im House of Commons verschafft hatte. Für die Tories war es das schlechteste Wahlergebnis seit der Gründung der Partei im 19. Jahrhundert.
Labour gewann bei der Wahl nach Auszählung von 648 der insgesamt 650 Sitze im Unterhaus 412 Sitze und damit 210 mehr als bei der letzten Abstimmung. Die Konservativen kamen auf 121 Sitze, 244 weniger. Die Liberaldemokraten errangen 71 Sitze, ein Plus von 60.
Für den Labour-Chef Keir Starmer signalisierte Sunaks frühe Kapitulation, dass er sich des Sieges endlich sicher sein konnte und ein Lächeln wagen durfte in dieser Nacht. In der bunt ausgeleuchteten Turbinenhalle der Tate Modern trat er vor seine ausgelassen feiernden Anhänger und Mitstreiter. „Die Sonne der Hoffnung“ scheine endlich wieder in Großbritannien, verkündete er zukunftsfroh.
„Schwere Nacht“ für Sunak
Währenddessen musste der geschlagene Sunak eingestehen, dass dies „eine schwere Nacht“ für ihn und seine Partei war. Seine Mitbürger hätten „ein ernüchterndes Urteil gesprochen“, für das er „volle Verantwortung“ übernehme. Seinen Bezwinger pries der Bezwungene an diesem Morgen als einen „ganz und gar anständigen Menschen, dem das öffentliche Wohl am Herzen liegt und den ich respektiere“. Danach fuhren die Sunaks in den Buckingham-Palast, wo Rishi Sunak König Charles III. sein Rücktrittsgesuch überreichte, wie es in einem solchen Fall in England üblich ist.
Denn das politische Ritual der Regierungsübergabe kennen und akzeptieren alle Mitspieler. Es ist ebenso rapide wie unerbittlich, wo es um die Ablösung geht. Um physisch zu demonstrieren, dass Macht nur eine Art Leihgabe der Wähler ist, wird die Übergabe der Regierungsverantwortung sozusagen im Handumdrehen vollzogen. Dass das Wahlsystem in der Regel zu klaren Verhältnissen führt und Koalitionsverhandlungen so unnötig sind, hilft dabei.
Für Farage „nur der erste Schritt“
Nach der Verabschiedung Sunaks empfing König Charles so auch prompt „seinen“ neuen Premierminister. Derweil begannen die kleineren Parteien, ihre eigenen Ergebnisse in Augenschein zu nehmen. Große Freude herrschte bei den Liberaldemokraten, die mit 71 Sitzen das beste Ergebnis ihrer Geschichte erzielten. Sie waren bei den letzten Wahlen bloß auf elf Sitze gekommen. Die Grünen erhöhten ihre Sitzzahl gerade einmal auf vier.
Ebenso viele Mandate erhielt Nigel Farages Partei Reform UK, die Partei der Rechtspopulisten, vormals die Brexit Party – obwohl Reform UK landesweit auf 14 Prozent der Stimmen kam. Farage selbst, einer der bekanntesten Politiker des Landes, schaffte es bei seinem achten Anlauf erstmals selbst ins House of Commons, wo er sich und seiner Sache nun „gebührend Beachtung“ verschaffen will.
Für Farage ist die Unterhauswahl „nur der erste Schritt“ auf dem Weg zu einer späteren Übernahme der Regierung gewesen. In zahlreichen Wahlkreisen landete Reform UK immerhin bereits auf dem zweiten Platz. Jetzt werde man die Labour Party ins Visier nehmen, erklärte Farage am Freitag mit seinem breitesten Grinsen. „Als Nächstes kommen wir dann, um uns Labour holen.“
Absturz für Schottische Nationalpartei
Zu einer Katastrophe wurden die Wahlen außer für die Konservativen aber auch für die Schottische Nationalpartei (SNP), die das letzte Jahrzehnt über in Schottland die entscheidende Rolle gespielt hatte. Sie stürzte von 48 Unterhaussitzen auf neun ab. Die Labour Party jubelte darüber, dass sie nun wieder stärkste Partei in Schottland ist – und sich den Briten als „die Partei, die Großbritannien zusammenhält“, präsentieren kann. Entsprechend viele schottische und walisische Fähnchen mischten sich denn auch mit den englischen, als Keir Starmer zusammen mit seiner leuchtend rot gekleideten Frau Victoria nach der Visite im Schloss in die Downing Street kam.
„Wir werden zeigen, dass Politik eine Kraft zum Guten sein kann“, versprach er seinen Wählern, „aber auch all denen, die nicht für uns gestimmt haben“. Und wie es das Glück wollte, öffnete sich just da der Himmel für ein paar zögernde Sonnenstrahlen, während Rishi Sunak zuvor noch mit grauem Nieselwetter zu kämpfen hatte. Zufrieden klappten die Labour-Aktivisten ihre Schirme zu, als das lange Warten vorbei war und sich die Tür zur Nr. 10 für die Starmers öffnete.